VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Beschluss vom 23.06.2023 - 7 K 312/23.KS.A - asyl.net: M31698
https://www.asyl.net/rsdb/m31698
Leitsatz:

Kosten des Verfahrens sind nach Ablauf der Überstellungsfrist nicht dem BAMF aufzuerlegen:

"1. Der Ablauf der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO ist einer Bundesbehörde nicht zurechenbar, da wegen Art. 30, 70, 84 GG, § 71 AufenthG für den Vollzug der Überstellung eine Länder­behörde zuständig ist.

2. Das BAMF räumt mit der Aufhebung eines Bescheids nach Fristablauf keine zuvor eingenommene Rechtsposition freiwillig, sondern reagiert nur gezwungenermaßen auf die inzwischen eingetretene und von der Landesbehörde verursachte Änderung der Sachlage.

3. In Bulgarien besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein."

(Amtliche Leitsätze; anderer Ansicht: VG Gießen, Beschluss vom 29.06.2023 - 2 K 2003/22.GI.A - asyl.net: M31678)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Verfahrenskosten, Überstellungsfrist, Anwaltsgebühren, Ablauf der Überstellungsfrist, Erledigung der Hauptsache, Aufhebungsbescheid, Kosten,
Normen: VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2 S. 1, VwGO § 161 Abs. 2 S. 1, VwGO § 92 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Danach entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen (ständige Rechtsprechung der Kammer, zuletzt VG Kassel, Beschl. v. 12.05.2023, 7 K 1794/22.KS.A – n.v.). Die Aufhebung des Ausgangsbescheides beruht auf dem Ablauf der Frist gem. Art. 29 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013/EU (Dublin-III-VO) für eine Überstellung des Klägers nach Bulgarien. Der Fristablauf ist der Beklagten nicht zurechenbar. Denn nach den gesetzlichen Bestimmungen sind für den Vollzug der Überstellung des betroffenen Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedsstaat in der Europäischen Union die Länder zuständig (§ 71 Abs. 1 AufenthG), in Hessen gem. § 2 Abs. 1 AuslZustVO die Regierungspräsidien. Bundes- und Landesbehörden arbeiten entgegen der Auffassung der Klägerseite in diesem Bereich
gerade nicht arbeitsteilig zusammen. Vielmehr besteht eine strikte Trennung zwischen Asyl- und Ausländerrecht, zwischen Prüfung und Durchführung der Abschiebung (Vollzug). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist auch vor dem Hintergrund des Föderalismus in Deutschland (Art. 30, 70 GG) zu respektieren und nicht entgegen Art. 84 Abs. 3 GG (ausschließlich Rechtsaufsicht) zu konterkarieren. Die Beklagte hat mit der Aufhebung des Bescheids keine zuvor fehlerhaft eingenommene Rechtsposition freiwillig geräumt. Denn erstens wäre der Kläger ohne Ablauf der Überstellungsfrist voraussichtlich unterlegen gewesen, da in Bulgarien keine beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (siehe nur jüngst HessVGH, Beschl. v. 14.04.2023, 8 A 2193/21.Z.A – n.v..; BremOVG BeckRS 2023, 7278; OVG NRW BeckRS 2023, 12217 Rn. 36 ff.). Zweitens war die Aufhebung des Bescheids nicht freiwillig, sondern stellte nur die sachgerechte und unverzügliche Reaktion auf die inzwischen eingetretene und von der Landesbehörde verursachte Änderung der Sachlage dar. Aus diesem Grund entspricht es auch dem Rechtsgedanken des § 156 VwGO, die Kosten dem Kläger aufzuerlegen (so auch VG Kassel, Beschl. v. 14.06.2023, 6 K 112/23.KS.A – n.v., VG Ansbach BeckRS 2022, 15847). [...]