Abschiebungsverbot für Hochschwangere aus Peru:
Die schlechten humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen in Peru begründen für sich genommen kein Abschiebungsverbot. Allerdings ist aufgrund der vorliegenden konkreten Umstände des außergewöhnlichen Einzelfalls von einer Art. 3 EMRK Verletzung bei Rückkehr auszugehen. Die hochschwangere Frau hat das Abitur erworben, aber keine Ausbildung absolviert und muss sich alleine um den Säugling kümmern, weil ihre Familie sie verstoßen hat und für ihren Lebensgefährten sowie für ihre Schwester in anderen Verfahren in Deutschland Abschiebungsverbote festgestellt wurden.
(Leitsätze der Redaktion)
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3.1 Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG. [...]
Gemessen an diesen Maßstäben ergibt sich unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Peru sowie der individuellen Umstände der Klägerin, dass diese Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK in diesem außergewöhnlichen Fall der Klägerin erfüllt sind. Die Erkenntnisse zur humanitären Situation in Peru geben in dem außergewöhnlichen Fall der Klägerin Anlass zu der Annahme, dass aufgrund der schlechten Lebensbedingungen in Peru bei ihrer Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK droht. Im Fall der Klägerin liegen ganz besondere außergewöhnliche Umstände vor, die relevante existenzbedrohende Armut i. S. v. Art 3 EMRK annehmen lassen. Die wirtschaftlichen und humanitären Lebensverhältnisse in Peru sind nach der Erkenntnislage prekär. Im Länderreport Peru des Bundesamtes, Stand 12/21 ist unter Nr. 16 ausgeführt:
"[...] Das nationale Statistikinstitut spricht sogar von einem Anstieg der Armut von 2019 auf 2020 um fast 10% und 3 Mio. Menschen aufgrund der Pandemie; fast ein Drittel der peruanischen Bevölkerung (etwa 10 Mio. Menschen) kann somit seine Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigen. Auch extreme Armut hat 2020 (5,1%) im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 2% zugenommen, alle Werte sind auf dem Land ungleich höher als im urbanen Raum. Fast 65% der extrem Armen sowie über 50% der Armen hatte zwar Zugang zu einem Ernährungsprogramm, nur 70% der Haushalte hatten aber Zugang zu einer Trink- und Abwasser- sowie Stromversorgung. [...]
Dies vorangestellt, geht das Gericht vorliegend aufgrund der konkreten Umstände des ganz außergewöhnlichen Einzelfalles davon aus, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Peru aufgrund der dortigen Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, in der sie ihre existentiellen Grundbedürfnisse nicht in dem für § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art 3 EMRK ausreichendem Maße wird befriedigen können. Die schlechten humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen begründen zwar für sich genommen im Falle einer gesunden, erwachsenen Frau ohne Weiteres noch kein Abschiebungsverbot nach Peru, jedoch vorliegend unter Berücksichtigung der individuellen gefahrerhöhenden und glaubhaften Umstände der (hoch)schwangeren Klägerin, die nicht auf familiäre oder sonstige Unterstützung zurückgreifen kann.
Zunächst ist festzustellen, dass die Klägerin zweifelsfrei hochschwanger ist. Der errechnete Entbindungstermin ist ausweislich des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Mutterpasses der 10. Juli 2023. Die Klägerin ist demnach als vulnerable Person anzusehen. Die Einzelrichterin ist überzeugt davon, dass es der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Peru nicht möglich sein wird, das Existenzminimum für sich und ihr (ungeborenes) Kind zu erwirtschaften. Sie hat zwar das Abitur erworben und ist erfahren, was die Ausübung von Gelegenheitsarbeiten angeht. Sie verfügt jedoch über keine Ausbildung und muss sich insbesondere um das in Kürze zur Welt kommende und dann sehr junge Kind kümmern. Davon abgesehen und nicht entscheidungserheblich leidet sie, wie sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten ergibt, unter erheblichen psychischen Erkrankungen infolge einer nicht in Zweifel stehenden Vergewaltigung, die sie in ihrer Erwerbsfähigkeit einschränken dürften. Vor allem ist jedoch festzustellen, dass die Klägerin über keinerlei familiäre oder sonstige Unterstützung in Peru verfügt und mit dem Säugling ganz auf sich alleine gestellt wäre. Ihre Eltern, die sie verstoßen haben, leben in Venezuela. Sonstige Familienangehörige, die in Peru leben, sind der Klägerin nicht bekannt. Für ihren Lebensgefährten, der nicht die peruanische Staatsangehörigkeit besitzt, wurde von der Beklagten ein Abschiebeverbot hinsichtlich Venezuela festgestellt, so dass anzunehmen ist, dass er vorerst in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben wird. Für die homosexuelle Schwester der Klägerin wurde mit Urteil vom 23. Juni 2023 ebenfalls ein Abschiebeverbot hinsichtlich Peru festgestellt. Die Klägerin wäre damit im Falle ihrer Rückkehr nach Peru völlig auf sich alleine gestellt. Zur Überzeugung des Gerichts steht damit auch fest, dass für die Klägerin bei einer Rückkehr nach Peru die tatsächliche Gefahr besteht, dass sie für sich und ihr Kind kein Obdach wird bekommen können. [...]