Subsidiärer Schutz wegen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sudan:
"1. Zur Überzeugung der Einzelrichterin liegen hier stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Al Fashir [Darfur] oder Khartum einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein würde.
2. Zur Feststellung, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gegeben ist, ist eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslands des Klägers kennzeichnenden Umstände, erforderlich [...]."
(Amtliche Leitsätze; unter Bezug auf: EuGH, Urteil vom 10.06.2021 - C-901/19 CF, DN gg. Deutschland (Asylmagazin 7-8/2021, S. 284 ff.) - asyl.net: M29696; so auch schon: VG Hannover, Urteil vom 27.04.2023 - 5 A 5170/21 - asyl.net: M31533)
[...]
Zur Überzeugung der Einzelrichterin liegen hier stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Al Fashir (1.) oder in die Hauptstadt Khartum (2.) einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein würde. [...]
Derzeit herrscht in Teilen des Sudans ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt.
Die sudanesische Armee - SAF - unter General Abdel Fattah al-Burhan und die RSF unter General Mohamed Hamdan Daglo, genannt Hemedti, liefern sich seit dem 15. April 2023 schwere Gefechte in der Hauptstadt Khartum und anderen Landesteilen. Zuletzt wurde über kriegerische Handlungen in Khartum, Bahri, Omdurman, Kordofan States, Darfur States und Blue Nile State berichtet [...].
1. Die Sicherheitslage in Darfur ist weiter angespannt und volatil (UNHCR, Sudan Situation, 30 June - 6 July 2023, vom 10.7.2023, reliefweb.int/report/sudan/sudan-situation-unhcr-external-update-17-30-june-6-
july-2023; Zugriff am 12.7.23). Während Khartum nach wie vor das Epizentrum der Kämpfe ist, fordern die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Darfur besonders viele Todesopfer [...].
Medienberichten zufolge ist es am 5. Juni 2023 zu einer groß angelegten Offensive der RSF im Raum zwischen den Städten Al-Fashir und Kutum in Nord-Darfur gekommen. [...] Die Offensive habe allein in Kutum mindestens 40 Todesopfer gefordert [...].
Auf Augenzeugenberichten basierende Medienberichte schildern eine anhaltend schlechte Lage in der Stadt El-Geneina. Demnach sei die Stadt bereits seit Ende Mai 2023 ein rechtsfreier Raum, in dem bewaffnete Personen von Haus zu Haus gehen und die dort lebenden Menschen ausrauben, misshandeln und/oder töten. [...]
Am 14. Juni 2023 wurde der Gouverneur des Staates West-Darfur wenige Stunden nach einem Fernsehinterview in El-Geneina festgenommen und getötet. In dem Interview hatte er u.a. zu einer internationalen Intervention aufgerufen und der RSF und mit ihnen verbündeten Milizen vorgeworfen, einen Genozid an der ethnischen Gruppe der Masalit zu begehen [...].
ACLED berichtet bereits am 23. Juni 2023 von 45 Vorfällen politisch motivierter gewaltsamer Auseinandersetzungen seit Beginn der Auseinandersetzungen allein in West-Darfur, die 1.020 Todesopfer gefordert haben [...].
Auch in Nyala, Süd-Darfur, kommt es weiter zu Kämpfen zwischen SAF und RSF [...]
In Nord-Darfur konzentrieren sich die Kämpfe auf Al Fashir und Kutum. In Kutum sollen nach Berichten von ACLED Anfang Juni 2023 hunderte Zivilisten, einschließlich des Bürgermeisters von Farok village in Kutum, von der RSF getötet worden sein [...].
Medienangaben zufolge seien im Kampf um El-Geneina bisher mindestens 5.000 Menschen getötet und mehr als 8.000 verletzt worden. Unter Verweis auf Zeugenberichte und Aussagen von vor Ort tätigen Organisationen berichteten mehrere Medien, dass es in El Geneina zu "ethnischen Säuberungen" gekommen sei. [...]
Obwohl sowohl die sudanesische Armee (SAF) als auch die Rapid Support Forces (RSF) unabhängig voneinander eine Waffenruhe für die Zeit des Opferfestes Eid El Adha ausgerufen hatten (27.6.23 - 1.7.23), kam es bereits am ersten Tag zu schweren Kämpfen u.a. in Zalingei, der Hauptstadt des Bundesstaates Zentral-Darfur. [...]
Da El-Geneina weitgehend von sämtlichen Kommunikationsnetzen abgeschnitten ist, verweist die Berichterstattung insoweit zumeist auf Interviews mit aus der Stadt geflohenen Menschen. Demnach hielten die Übergriffe und tödlichen Angriffe der RSF und mit ihr verbündeter Milizen auf die nicht-arabische Bevölkerung weiter an. [...]
In der 28. Kalenderwoche gab es in und um die Hauptstadt des Bundesstaates Süd-Darfur, Nyala, erneute Kämpfe zwischen SAF und RSF. [...]
Am 13. Juli 2023 gab der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in einem Statement zur Situation in Darfur vor dem UN Sicherheitsrat bekannt, dass Ermittlungen zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung aufgenommen worden seien. Der Schwerpunkt liege dabei auf Verbrechen gegen Kinder sowie auf sexueller und geschlechtsbasierter Gewalt [...].
Am 14. Juli 2023 berichteten mehrere Medien über den Fund eines Massengrabs in der Nähe der Hauptstadt West-Darfurs, El-Geneina. [...]
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen berichtet am 14. Juli 2023 durch ihren Projektkoordinator in Al Fashir, dass die Lage weiter angespannt ist. [...]
Nach alledem liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Al Fashir, Nord-Darfur einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt sein würde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG), während kein Schutz nach § 3d AsylG besteht.
2. Khartum, Bahri und Omdurman bilden das Epizentrum der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Sudan [...].
Ein Waffenstillstand vom 18. Juni 2023 bis zum 21. Juni 2023 wurde zunächst bis auf wenige Ausnahmen weitgehend eingehalten. Allerdings kam es kurz vor dem Ablaufen der Frist - am 21. Juni 2023 um 6:00 Uhr - zu heftigen Kämpfen zwischen der sudanesischen Armee (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF). [...]
Medienberichten zufolge eskalieren die Kämpfe in den Schwesterstädten der Hauptstadtregion (Khartum, Omdurman und Bahri) zunehmend. Seit dem 2. Juli 2023 seien demnach die Luftangriffe der SAF sowie entsprechend das Abwehrfeuer der RSF intensiviert worden. Am 8. Juli 2023 seien durch einen Luftangriff der SAF auf Ziele in einem Stadtteil Omdurmans mindestens 22 Zivilpersonen getötet worden. Die RSF habe von über 31 Todesopfern gesprochen. [...]
Die Kampfhandlungen halten mit unverminderter Intensität an. [...] Nach Angaben der UN haben bisher mehr als drei Millionen Menschen, knapp 50 % der Bevölkerung Khartums, die Hauptstadt verlassen. Demnach sei es für die meisten der Menschen, die sich derzeit noch in der Hauptstadt aufhalten, aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen nicht möglich, vor den Kämpfen zu fliehen [...].
Nach alledem liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger auch bei einer Rückkehr nach Khartum einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen des dort herrschenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt sein würde (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG), während kein Schutz nach § 3d AsylG besteht. [...]