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VG Dresden

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Zitieren als:
VG Dresden, Beschluss vom 23.02.2024 - 2 L 64/24.A - asyl.net: M32247
https://www.asyl.net/rsdb/m32247
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen Ablehnung als offensichtlich unbegründet bei mit örtlichen Verhältnissen nur wenig vertrauten Person aus Venezuela:

1. Wird ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, ist Eilrechtsschutz nur zu gewähren, wenn gemäß § 36 Abs. 4 AsylG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Solche bestehen hier zwar nicht hinsichtlich der Ablehnung der Anträge auf Asyl, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes, wohl aber hinsichtlich der Feststellung, dass kein Abschiebungsverbot bezüglich Venezuelas vorliegt.

2. Zwar ist ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG aufgrund der humanitären und wirtschaftlichen Bedingungen in Venezuela (noch) nicht für jede Person anzunehmen, allerdings ist das Bestehen eines Abschiebungsverbots festzustellen, wenn spezifische individuelle Einschränkungen oder gefahrerhöhende Momente festgestellt werden können.

3. Solche Einschränkungen können angenommen werden, wenn eine Person Venezuela vor mehreren Jahren, noch minderjährig, verlassen hat, sodass sie nicht hinreichend mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist und - ggf. auch aufgrund weiterer Umstände - die Existenzsicherung nicht gelingen kann. Der Kläger hat Venezuela vor fünf Jahren mit 16 Jahren verlassen, sodass er nicht hinreichend mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Leipzig, Beschluss vom 25.01.2023 - 1 L 34/23.A - asyl.net: M31278)

Schlagwörter: Venezuela, Abschiebungsverbot, offensichtlich unbegründet, minderjährig ausgereist, Existenzgrundlage, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1, AsylG § 36 Abs. 4, AufenthG § 60 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, der eine Konkretisierung des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG darstellt, darf in Fällen der Ablehnung des Asylantrags wegen offensichtlicher Unbegründetheit die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. [...]

Zwar dürfte das Schutzbegehren hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des Asyls, gegebenenfalls auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes abzulehnen gewesen sein, hat der Antragsteller, der nach eigenen Angaben keine Probleme mit den Behörden ehemals in Venezuela gehabt hatte und sich im Wesentlichen wegen seiner Ausreise aus Venezuela … 2019 nach Panama, wohin die Familie dem Vater des Antragstellers gefolgt ist, der sich dort wegen besserer Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten, allerdings ohne legalen Status befunden hat, wohl damit keine Gründe für eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgung bei Rückkehr nach Venezuela geltend gemacht.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides sind aber hier im Hinblick auf die Bewertung des Vorbringens hinsichtlich der nicht auszusprechenden Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG anzunehmen, sodass die aufschiebende Wirkung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anzuordnen ist.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist zwar aufgrund schlechter humanitärer und wirtschaftlicher Bedingungen nur ausnahmsweise anzunehmen; die hohen Anforderungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind dabei für sich genommen in Bezug auf eine Rückkehr in das Herkunftsland Venezuela regelmäßig (wohl noch) nicht anzunehmen. Dieses kann hingegen anders zu sehen sein, wenn spezifische individuelle Einschränkungen des Ausländers oder gefahrerhöhende Momente festgestellt werden können; derartiges kann im Einzelfall angenommen werden, wenn etwa auch ein inzwischen volljähriger Ausländer bei Rückkehr das Existenzminimum nicht hinreichend sichern kann, der etwa bereits als Minderjähriger sein Herkunftsland Venezuela verlassen hat oder musste, er mit den dortigen Verhältnissen nicht hinreichend vertraut ist, sodass ihm - insbesondere aufgrund weiterer Umstände - die Existenzsicherung nicht gelingen kann (vgl. etwa VG Dresden, Beschl. v. 5. Januar 2024 - 4 L 537/23.A -, nicht veröffentlicht).

Hiervon geht das Gericht vorliegend aus. Das im Verwaltungs- wie Gerichtsverfahren stringente Vorbringen des Antragstellers zu seiner Biografie und den Lebensumständen ist als glaubhaft einzuschätzen. Nachdem sein Vater 2016/2017 (somit als der Antragsteller 13 Jahre alt war) Venezuela wegen der Notwendigkeit, den Unterhalt für die in Venezuela verbliebene Familie zu sichern, wegen besserer Erwerbsmöglichkeiten nach Panama verlassen hat, wo er sich hingegen ohne legalen Aufenthaltsstatus befunden hat, folgte ihm 2019 (der Antragsteller war 16 Jahre alt) die Familie nach Panama, wo dann ein Jahr später der Vater verstarb, die Familie nur noch mit Unterstützung infolge der wegen der Beziehungen früherer Arbeitskollegen des Vaters gegebenen Arbeitsmöglichkeiten des Antragstellers, der gerade 17 Jahre alt geworden war, hat überleben können, bevor die Familie im ... 2023 auch aus Panama ausgereist ist. [...]