VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 27.06.2024 - 3 L 776/24 - asyl.net: M32506
https://www.asyl.net/rsdb/m32506
Leitsatz:

Verweis auf Visumverfahren zur Familienzusammenführung eines in Bulgarien subsidiär Schutzberechtigten

1. Einem in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigten, der gesund und arbeitsfähig ist, droht keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr nach Bulgarien. Nicht entscheidungserheblich sind die Erfahrungen des Antragstellers während des Voraufenthalts in Bulgarien; maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.

2. Einer Abschiebung nach Bulgarien steht nicht entgegen, dass sich Ehefrau und Kinder des Antragstellers in Deutschland aufhalten. Dem in Bulgarien subsidiär Schutzberechtigten ist es zumutbar, ein Visumverfahren zum Familiennachzug zu seiner Familie in Deutschland zu durchlaufen. Es ist mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar, den sich ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhaltenden Ausländer auf die Durchführung des Visumverfahrens zu verweisen, wenn keine überlange Verfahrensdauer zu erwarten ist.

3. Eine vorübergehende Trennung der Familie stellt sich im Einzelfall nicht als unverhältnismäßig dar, wenn die Familie bereits über einen längeren Zeitraum hinweg getrennt war.

4. Ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt in Deutschland liegt nicht vor, wenn über den Asylantrag der Familie noch nicht entschieden ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, anerkannt Schutzberechtigte, systemische Mängel, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Familienzusammenführung, Familieneinheit, Schutz von Ehe und Familie,
Normen: GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3, GG Art. 6, AsylG § 34 Abs. 1, AsylG § 36 Abs. 1
Auszüge:

[...]

3. Die Abschiebungsandrohung nach Bulgarien (Ziffer 3 des Bescheides) beruht auf § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AsylG und begegnet mit Blick auf den Umstand, dass sich die Ehefrau und Kinder des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. [...]

Art. 6 GG gewährt unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt, enthält jedoch die wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu fördern und zu schützen hat, und verpflichtet die Behörde bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen ebenfalls die familiären Beziehungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers zu Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen [...]. Es ist allerdings sowohl mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG als auch mit Art. 8 Abs. 1 EMRK grundsätzlich vereinbar, den sich ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland aufhaltenden Ausländer auf die Durchführung des Visumverfahrens im Ausland zu verweisen, sofern diese Forderung sich nicht im Einzelfall - etwa wegen der Hilfebedürftigkeit des Ehegatten oder der trotz Mitwirkung des Ausländers zu erwartenden verfahrensbedingt überlangen Trennungsdauer - als unverhältnismäßig darstellt [...]. Ausgehend hiervon würde zwar der Vollzug der Abschiebungsandrohung zu einer zumindest vorübergehenden Trennung des Antragstellers von seiner Ehefrau und den Kindern und damit zu einem Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte familiäre Lebensgemeinschaft führen. Dies würde sich allerdings bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung nicht als unverhältnismäßig darstellen.

Nach der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage haben die Ehefrau und minderjährigen Kinder des Antragstellers kein gesichertes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland, da über deren Asylantrag noch nicht entschieden worden ist [...], weshalb derzeit auch kein abgeleitetes Recht des Antragstellers nach § 26 Abs. 1 (ggf. i.V.m. Abs. 5) AsylG besteht. In Bulgarien hingegen wurde dem Antragsteller bereits subsidiärer Schutz gewährt41, sodass für diesen dort ein gesichertes Bleiberecht vorliegt. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Antragsteller bereits über einen längeren Zeitraum hinweg von der übrigen Familie getrennt gelebt hat. [...]