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VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Beschluss vom 08.08.2024 - 1 A 189/23 - asyl.net: M32699
https://www.asyl.net/rsdb/m32699
Leitsatz:

Prognose zur Unterhaltsfähigkeit im Rahmen der Einbürgerung: 

1. Bei guten Aussichten für eine Anschlussbeschäftigung steht eine (befristete) Teilzeitbeschäftigung einer positiven Prognose zur Unterhaltsfähigkeit nicht entgegen. In die positive Prognose wird eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das eine steigende Erwerbsquote von Geflüchteten skizziert, einbezogen. 

2. Der Bezug von Wohngeld und Kinderzuschlag schließt nach dem Wortlaut den Anspruch auf Einbürgerung nicht aus und stellt auch keinen Hinweis auf eine zukünftig fehlende Lebensunterhaltssicherung dar. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Einbürgerung, Sicherung des Lebensunterhalts, Wohngeld, Kinderzuschlag,
Normen: StAG § 10 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Zwischen den Beteiligten steht allein in Streit, ob der Kläger zu 1. die Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfüllt. Nach dieser Norm, deren Fassung vom 27. Juni 2024 der Prüfung zugrunde gelegt werden kann, da diese für den Kläger zu 1. lediglich vorteilhafte Änderungen enthält, besteht ein Anspruch auf Einbürgerung nur, wenn der Ausländer u.a. den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann. Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein.

Der Kläger zu 1. bezieht derzeit keine Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch. Er erhält als staatliche Unterstützungsteistungen lediglich Wohngeld und bezieht Kinderzuschlag. Diese Leistungen sind nach dem Gesetzeswortlaut nicht anspruchsausschließend.

Die Leistungen stehen im konkreten Fall auch nicht der Annahme entgegen, der Kläger zu 1. sei auch zukünftig in der Lage, den Unterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu bestreiten.

Bei der Frage, ob der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestritten werden kann, ist nicht nur auf die aktuelle Situation abzustellen. Erforderlich ist auch eine gewisse Nachhaltigkeit. Es ist eine Prognose darüber anzustellen, ob der Einbürgerungsbewerber auch in einem überschaubaren Zeitraum in der Zukunft in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu bestreiten. Eine positive Prognose künftiger Unterhaltsfähigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Eintritt einer nach den Vorschriften des SGB II und des SGB XII relevanten Hilfebedürftigkeit auch für einen überschaubaren Zeitraum in der Zukunft nicht zu erwarten ist. [...] Hierzu muss auf der Basis der sich aus der bisherigen Erwerbsbiografie ergebenden Daten ein Verlaufsschema erkennbar sein, das die begründete Annahme stabiler Einkommensverhältnisse erlaubt. [...] Bei der anzustellenden Prognose ist die Qualifikation des Einbürgerungsbewerbers, insbesondere seine Ausbildung und seine Sprachkenntnisse, ebenso zu berücksichtigen wie die Frage, ob sich der Einbürgerungsbewerber in der Vergangenheit um eine Beschäftigung bemüht hat. [...]

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist anzunehmen, dass der Kläger zu 1. die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfüllt. Er und seine Ehefrau sind beide erwerbstätig, wenn auch nur in Teilzeit zu 30 Stunden/Woche. Die Anstellung des Klägers zu 1. bei … in Magdeburg ist unbefristet. Angesichts der vom Kläger eingereichten Praktikumsbewertungen ... und der Dauer der Beschäftigung von mittlerweile mehr als drei Jahren - unabhängig von der konkreten Aufgabenübertragung - erscheint der Arbeitsplatz auch hinreichend gesichert. Für einen gesicherten Arbeitsplatz spricht weiterhin, dass der Kläger zu 1., auch wenn er die Prüfung der Gleichwertigkeit seiner syrischen Ausbildung zum ... nicht bestanden hat, über für sein Berufsfeld einschlägige Vorkenntnisse verfügt, die ihm beim Erhalt seiner Arbeitsstelle dienlich sind.

Der Arbeitsvertrag der Ehefrau des Klägers zu 1. ist demgegenüber zwar bis zum 31. November 2026 befristet. Bei prognostischer Betrachtung ist aber nicht anzunehmen, dass der Kläger zu 1. nach Ablauf des Beschäftigungsverhältnisses seiner Ehefrau auch deren Unterhalt allein wird bestreiten müssen. Angesichts des Umstandes, dass jedenfalls ein gemeinsames Kind mittlerweile das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich damit etwaiger Betreuungsbedarf reduziert, wird die Ehefrau des Klägers zu 1. - gerade auch wegen in der Zwischenzeit gesammelter Berufserfahrung - gute Aussichten haben, eine Anschlussbeschäftigung zu finden. Hierfür spricht auch die von den Klägern in das Verfahren eingeführte Studie des DIW, die sich statistisch mit der steigenden Erwerbsquote unter Geflüchteten, die zwischen 2013 bis 2020 .in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, befasst, und positive Entwicklungen gerade in der Gruppe, in die der Kläger zu 1. und seine Ehefrau fallen, skizziert. [...]

Dass der Kläger zu 1. und seine Ehefrau nicht in Vollzeit erwerbstätig sind, steht einer positiven Prognoseentscheidung ebenfalls nicht entgegen. Insoweit hat der Kläger zu 1. dargelegt, dass eine Teilzeitbeschäftigung nicht mit einem erhöhten Risiko eines Arbeitsplatzverlusts einhergeht […].

Es ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger zu 1. vorrangige Sozialleistungen nur deshalb nicht in Anspruch nimmt, um eine Einbürgerung zu erreichen. Unabhängig davon, dass sich die für eine Einbürgerung schädlichen Sozialleistungen und die vom Kläger bezogenen Leistungen gegenseitig ausschließen, wird ein dahingehender Sachverhalt von der Beklagten schon nicht vorgetragen.  [...]