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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.09.2024 - 11 A 1460/23.A - asyl.net: M32728
https://www.asyl.net/rsdb/m32728
Leitsatz:

Weiterhin keine systemischen Schwachstellen im bulgarischen Asylverfahren oder den dortigen Aufnahmebedingungen: 

1.  Dublin-Rückkehrer haben Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren, werden in Aufnahmezentren untergebracht und haben dort Zugang zu Verpflegung, medizinischer Grundversorgung und - wenn auch mitunter mangelhaften -  sanitären Anlagen. 

2. Anerkannt Schutzberechtigten droht keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr nach Bulgarien. Es ist von der Möglichkeit der Existenzsicherung durch Aufnahme einer Beschäftigung auszugehen. Auch die Aufnahmezentren verfügen über ausreichende Kapazitäten, so dass auch anerkannt Schutzberechtigte dort Obdach erhalten können. 

(Leitsätze der Redaktion, Unter Hinweis auf: OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 - 11 A 1440/23.A und OVG NRW, Beschluss vom 15. Februar 2022 - 11 A 1625/21.A  - asyl.net: M30446)

Schlagwörter: Bulgarien, Dublinverfahren, anerkannt Schutzberechtigte, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Obdachlosigkeit, systemische Mängel,
Normen: VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, VO 604/2013 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3, VO 604/2013 Art. 18 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 1, VO 604/2013 Art. 29 Abs. 2, VO 604/2013 Art. 27 Abs. 3, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Bst. a, EMRK Art 3, GR-Charta Art. 4
Auszüge:

[...]

Weder das Asylverfahren noch die Aufnahmebedingungen in Bulgarien weisen - jedenfalls für nicht besonders schutzbedürftige Antragsteller wie den Kläger - systemische Schwachstellen i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO auf (1). Auch droht dem Kläger bei unterstellter Zuerkennung internationalen Schutzes in Bulgarien aufgrund der dort herrschenden Lebensbedingungen für international Schutz-berechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, die entsprechend Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO einer Überstellung entgegensteht (2).

(1) Schutzsuchende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens aus anderen Mitgliedstaaten nach Bulgarien zurückgeführt werden, haben Zugang zum dortigen Asylverfahren, das systemische Mängel nicht aufweist.

Asylanträge werden in Bulgarien grundsätzlich in einem ordnungsgemäßen Verfahren geprüft (vgl. zum Verfahren im Einzelnen: aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 34 ff.).

Nach Überstellung auf Grundlage der Dublin III-VO wird ein Asylverfahren eingeleitet bzw. wiederaufgenommen, wenn dieses noch nicht aufgrund einer inhaltlichen Prüfung bestandskräftig abgeschlossen ist. Eine solche Wiederaufnahme des Verfahrens ist für Personen, die aufgrund der Dublin III-VO überstellt werden, im bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetz seit 2020 zwingend vorgeschrieben. Damit können seit dieser Gesetzesänderung grundsätzlich auch solche Rückkehrer ihr Asylverfahren ohne Hindernisse wiederaufnehmen, wenn deren Verfahren zwar während ihrer Abwesenheit eingestellt, aber noch keine Entscheidung in der Sache getroffen worden ist [...].

Personen, deren Asylanträge während ihrer Abwesenheit ausnahmsweise auf Grundlage einer inhaltlichen Prüfung abgewiesen wurden, haben die Möglichkeit, nach Rückkehr einen Folgeantrag zu stellen. [...]

Angesichts dessen bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Asylantrag des Klägers in Bulgarien bereits inhaltlich geprüft worden ist, weshalb er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht - wie er meint - auf einen Asylfolgeantrag verwiesen würde, sondern sein abgeschlossenes Asylverfahren wird wieder aufnehmen können.

Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren nach Wiederaufnahme fortgeführt werden, werden - im Rahmen der Kapazitäten - in den Aufnahmezentren der SAR untergebracht (vgl. aida, Country Report: Bulgaria, 2023 update, S. 76). [...]

Die Länge des Aufenthalts in den Aufnahmezentren ist von Gesetzes wegen nicht begrenzt. Die Unterbringung ist für die Dauer des Asylverfahrens und eines etwaigen Rechtsmittelverfahrens gewährleistet [...].

In den Aufnahmeeinrichtungen wird Verpflegung zur Verfügung gestellt. Die Bewohner erhalten drei Mahlzeiten am Tag. Es besteht eine medizinische Grundversorgung. Sanitäre Anlagen stehen zur Verfügung, wenn auch mit Einschränkungen. Der Zugang insbesondere zu warmem Wasser kann sich als problematisch erweisen. Notwendige Reparaturen können auf sich warten lassen. Die Hygiene in den Aufnahmezentren weist Mängel auf. Berichtet wird von Bettwanzen [...].

Seit Mai 2022 werden in allen Aufnahmezentren monatlich Maßnahmen zur besonderen Reinigung, Desinfektion und Schädlingsbekämpfung durchgeführt [...].

Damit ist - auch in Anbetracht bestehender Mängel - jedenfalls eine Minimalversorgung sichergestellt, die die elementarsten Bedürfnisse [...] in der Regel befriedigt und eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt [...].

(2) Auch nach unterstellter Zuerkennung internationalen Schutzes droht dem Kläger in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

Mit Beschluss vom 15. Februar 2022 hat der Senat entschieden, dass international Schutzberechtigten in Bulgarien derzeit keine Gefahrenlage droht, die zu einem Verstoß gegen Art. 4 GRCh führt. Auch durch die Corona-Pandemie haben sich die Verhältnisse in Bulgarien nicht derart verschlechtert, dass gesunden, arbeitsfähigen Schutzberechtigten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen eine Verelendung drohte [...].

An dieser Einschätzung hält der Senat unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage fest. Die Verhältnisse in Bulgarien haben sich für anerkannt Schutzberechtigte seit Februar 2022 - auch durch die seitdem zahlreich in Bulgarien aufgenommenen ukrainischen Flüchtlinge - nicht derart verschlechtert, dass dem Kläger als gesundem und arbeitsfähigen Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen eine Verelendung drohte [...].

Obwohl sich anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien grundsätzlich selbst um eine Unterkunft bemühen müssen und keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme in einer Flüchtlingsunterkunft haben [...], bestehen auch weiterhin keine konkreten Hinweise darauf, dass anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien im Allgemeinen obdachlos oder von Obdachlosigkeit in besonderem Maße bedroht wären. Die Aufnahmezentren verfügen für Asylsuchende nach wie vor über ausreichende Kapazitäten, so dass anerkannt Schutzberechtigte dort auch weiterhin Unterkunft erhalten können [...].

Der Senat hat bereits entschieden, dass sich der bulgarische Arbeitsmarkt weder in Folge der Corona-Pandemie [...] noch durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge [...] derart verschlechtert hat, dass es international Schutzberechtigten nun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich wäre, in zumutbarer Zeit Arbeit zu finden und damit ihren Lebensunterhalt im Sinne des nach Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK gebotenen Existenzminimums selbstständig zu bestreiten. Auch an dieser Einschätzung hält er unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage fest. [...].

Sprach- und Integrationskurse, die Drittstaatsangehörigen den Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt erleichtern, werden zwar nicht staatlicherseits (vgl. SFH, Auskunft an den Senat vom 8. Juli 2022, S. 3), aber von NGO, etwa dem Bulgarischen Roten Kreuz, der Caritas Sofia und IOM, angeboten. [...]