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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 03.07.2024 - 23 L 271/24 A - asyl.net: M32933
https://www.asyl.net/rsdb/m32933
Leitsatz:

Schleusung ist keine Zuwiderhandlung gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen: 

1. Der Ausschlussgrund für die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG (Zuwiderhandlungen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen) kann nur von Personen, die in ihren Ländern oder staatsähnlichen Gebilden eine gewisse Machtposition innehatten, erfüllt werden. Hintergrund ist, zu verhindern, dass ein Staat ein ehemaliges Staatsoberhaupt aus einem anderen Staat aufnehmen muss, wenn dieses selbst vorher als Verfolger agiert hat. 

2. Wer Personen in das Bundesgebiet einschleust, erfüllt dadurch nicht den Tatbestand der Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen. Auch bei anderer Betrachtung ist eine Freiheitsstrafe von 11 Monaten und 2 Wochen nicht so gewichtig, dass der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG erfüllt wäre. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Flüchtlingseigenschaft, Widerruf, Straftat, Schleusen von Ausländern, Schleusung, Suspensiveffekt,
Normen: AsylG § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 29. April 2024 ist § 73 Abs. 5 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter anderem zu widerrufen, wenn der Ausländer von der Erteilung nach § 3 Abs. 2 AsylG ausgeschlossen ist.

Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. [...]

Da die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen sich an Staaten richten, können grundsätzlich nur Personen, die in ihren Ländern oder staatsähnlichen Gebilden eine gewisse Machtposition (z.B. Staatsoberhäupter, Minister oder hohe Beamte) innegehabt haben, gegen diese Bestimmungen verstoßen. Beweggrund für den Ausschlussgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention war es zu verhindern, dass ein Staat ein ehemaliges Staatsoberhaupt aus einem anderen Staat aufnehmen muss, welches ursprünglich als Verfolger agiert und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat und nunmehr beispielsweise wegen eines Regierungswechsels selbst zum Flüchtling wurde [...]. Etwas anderes gilt allerdings bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus, die auch von Personen begangen werden können, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben [...].

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Antragsteller, der nach den Feststellungen des Amtsgerichts Passau im Strafbefehl vom 31. März 2023 [...] fünf syrische Staatsangehörige in das Bundesgebiet eingeschleust und dabei einen Schlagring in der Mittelkonsole des Fahrzeugs mit sich geführt hat, nicht den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt. Der Antragsteller hat weder auf staatlicher Ebene oder in einer staatsähnlichen Organisation eine Machtposition innegehabt, noch hat er eine Handlung im Bereich des internationalen Terrorismus begangen.

Doch selbst wenn man diese Auffassung nicht teilte und von der Annahme ausginge, in bestimmten Konstellationen könnten Handlungen im Bereich der Schleuserkriminalität auch ohne Beteiligung eines Staates als gegen die Grundsätze und Ziele der Vereinten Nationen zuwiderhandelnd eingestuft werden, führte dies im konkreten Einzelfall zu keinem anderen Ergebnis. Denn jedenfalls erreicht hier der individuelle Beitrag des Antragstellers, gegen den wegen der genannten Tat eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und zwei Wochen verhängt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, nicht ein Gewicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylG [...] entspricht. [...]