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VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Beschluss vom 16.12.2024 - 3 L 3640/24.A - asyl.net: M32998
https://www.asyl.net/rsdb/m32998
Leitsatz:

Keine Ablehnung als offensichtlich unbegründet trotz vagem Vorbringen:

Eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet ist nicht gerechtfertigt, wenn das Vorbringen zwar stellenweise vage, aber nicht derart pauschal und oberflächlich ist, dass es an Tatsachenbehauptungen fehlt, deren Wahrheit unterstellt werden könnte.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch: VG Köln, Beschluss vom 26.09.2024 - 15 L 1556/24.A - asyl.net: M32741)

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, ohne Belang, Türkei,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1, VwGO § 80 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

a. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang sind. [...]

Der Begriff der "Umstände [...], die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind" bedarf der Auslegung. Denn eindeutig ist nur, dass "Umstände [...], die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind" ein "Mehr" gegenüber der "einfachen" Unbegründetheit eines Asylantrages bedeuten müssen, weil andernfalls jedes letztendlich ohne Erfolg gebliebenes Schutzvorbringen zugleich auch ein offensichtlich unbegründetes Vorbringen darstellte [...]

Dass ein "belangloses Vorbringen" im vorgenannten Sinne nur die Ausnahme in klar strukturierten Fällen darstellen kann, ist sowohl der nationalen Regelung in § 30 Abs. 1 AsylG wie auch den unionsrechtlichen Vorgaben in Art. 31 Abs. 8, Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU zu entnehmen [...].

In diesem Sinne ist der Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn sich der Asylbewerber auf grundsätzlich asylunerhebliche Gründe beruft. Allerdings darf kein vom Ausländer im Asylverfahren vorgetragener Umstand von Belang sein, damit das Offensichtlichkeitsurteil gerechtfertigt ist. Nicht über einzelne Asylgründe, sondern über den gesamten Asylantrag muss das Verdikt der Belanglosigkeit fallen. Eine Differenzierung nach einzelnen Gründen findet insoweit im Ergebnis nicht statt. Kann auch nur hinsichtlich eines Grundes das Vorbringen aus tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen nicht als belanglos angesehen werden, ist der Asylantrag in Gesamtheit jedenfalls nicht nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG offensichtlich unbegründet  [...]

Das Vorgebrachte kann auch dann nicht von Belang sein, wenn das Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht in für den Asylantrag wesentlichen Punkten - also im Kernbereich - derart pauschal und oberflächlich oder derart widersprüchlich ist, dass es an (eindeutigen) Tatsachen(-behauptungen) fehlt, deren Wahrheit unterstellt werden könnte, wenn also aufgrund des nichtssagenden Vortrags oder aufgrund unauflösbar widersprüchlicher Angaben unklar ist, von welcher/welchen Tatsache/n bzw. Umständen das Bundesamt und das Gericht bei ihren Entscheidungen ausgehen sollen. Auch dann ist die Voraussetzung erfüllt, dass an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen Sachverhalt die Abweisung der Klage bzw. die Ablehnung des Eilantrages geradezu aufdrängt [...].

Es ist nicht feststellbar, dass aus der dargelegten Verfolgungsgeschichte auch bei Wahrunterstellung rechtlich kein Schutzstatus nach Art. 16a GG, § 3 oder § 4 AsylG gefolgert werden könnte. Der Vortrag des Antragstellers, gegen ihn als kurdischen Volkszugehörigen und HDP-Sympathisanten sei wegen mehrerer regierungskritischer "Posts" in den sozialen Medien auf der Social-Media-Plattform Facebook, in denen er u.a. den türkischen Staatspräsidenten Erdogan als "Mörder und Dieb" bezeichnet habe, seitens der Oberstaatsanwaltschaft ... ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und durch das … Strafgericht ... am ... 2023 wegen einer Tat vom ... 2023 ein Haftbefehl zwecks "Inhaftierung bzw. Untersuchungshaft im Zuge der Ermittlungen" wegen des Straftatvorwurfs der "Propaganda für eine terroristische Vereinigung" gemäß § 7/2 des türkischen Anti-Terror-Gesetzes erlassen worden, wäre jedenfalls bei Wahrunterstellung im Grundsatz geeignet, einen Schutzstatus gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zu begründen. Der Antragsteller hat den im UYAP-System abrufbaren Haftbefehl vom 12. Dezember 2023 bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegt, woraufhin das Bundesamt dessen Übersetzung veranlasst hat. Angesichts dessen kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Antragsteller eine gemäß § 3 Abs. 1 AsylG flüchtlingsrechtlich relevante politische Verfolgung durch den türkischen Staat droht. [...]

Das Vorbringen des Antragstellers ist im Übrigen zwar stellenweise durchaus vage, indes nicht derart pauschal und oberflächlich oder derart widersprüchlich, dass es an (eindeutigen) Tatsachen(-behauptungen) fehlte, deren Wahrheit unterstellt werden könnte. Angesichts dessen ist nicht feststellbar, dass die vorgebrachten Umstände ohne jeglichen Belang für einen Asylanspruch bzw. einen Anspruch auf Zuerkennung internationalen Schutzes wären. [...]