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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 11.12.2024 - 22 L 2285/24.A - asyl.net: M33101
https://www.asyl.net/rsdb/m33101
Leitsatz:

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einstufung als Zweitantrag: 

1. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Einstufung eines Asylantrags als Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG ist der Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland. 

2. Besteht in dem Mitgliedstaat, in dem der erste Asylantrag gestellt wurde, noch die Möglichkeit, das Verfahren wiederaufzugreifen, liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines Zweitantrages nicht vor, da das Asylverfahren dann nicht erfolglos abgeschlossen ist.

(Leitsätze der Redaktion, so auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.01.2025 – 29 L 3818/24.A – asyl.net: M33118 unter Bezug auf EuGH: Urteil vom 19.12.2024 – C-123/23, C-202/23 [Khan Yunis und Babdaa], N.A.K. u.a. gg. Deutschland – asyl.net: M32939

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Zweitantrag, Beurteilungszeitpunkt, Zulässigkeit, Unzulässigkeit, Bestandskraft, Rechtskraft,
Normen: AsylG § 71a, AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 8
Auszüge:

[...]

1. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) hat den Asylantrag des Antragstellers zu Unrecht auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG in der Fassung aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54), in Kraft getreten am 27. Februar 2024, als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Absatz 1 AsylG) oder einen Zweitantrag (§ 71a Absatz 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bei dem Asylantrag des Antragstellers vom 13. Februar 2023 handelt es sich weder um einen Zweitantrag nach § 71a AsylG (dazu a), noch um einen Folgeantrag nach § 71 AsylG (dazu b). [...]

Dem Asylantrag des Antragstellers vom 13. Februar 2023 ist kein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen.

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren erfolglos abgeschlossen ist, ist auf den Zeitpunkt des Asylantrags in Deutschland abzustellen und nicht auf (irgend) einen späteren Zeitpunkt [...].

Wie auch beim Folgeantrag kann ein sog. Doppelantrag, d.h. ein Antrag, der gestellt wird, obwohl ein früherer Antrag in einem anderen Mitgliedstaat - hier Österreich - noch anhängig oder eine Wiedereröffnung möglich ist, nicht als Zweitantrag behandelt werden. Der Wortlaut der Vorschrift ("Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (…) im Bundesgebiet einen Asylantrag") spricht dafür, auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland abzustellen, zumal die Regelung ausdrücklich zwischen den Voraussetzungen für das Vorliegen eines Zweitantrags und den sonstigen Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Zuständigkeit Deutschlands, Wiederaufnahmegründe i.S.d. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) differenziert [...].

Es sind auch keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich, die eine über diesen Wortlaut hinausgehende Auslegung – etwa dahingehend, dass auf den Zeitpunkt des Übergangs der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland oder auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) abzustellen ist – zulassen würde [...].

Gemessen hieran bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Asylantrag des Antragstellers vom 13. Februar 2023 um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG handelt.

Das Verfahren in Österreich war im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland nicht endgültig abgeschlossen. Der Antwort der österreichischen Behörden vom 9. Oktober 2024 (Bl. 386 f. der Beiakte 1 des zugehörigen Klageverfahrens 22 K 7529/24.A) auf die Info-Request Anfrage des Bundesamtes vom 23. September 2024 (Bl. 384 der Beiakte 1 des zugehörigen Klageverfahrens 22 K 7529/24.A) zufolge hatte der Antragsteller am 24. August 2022 in Österreich einen Asylantrag gestellt. Das dortige Verfahren des Antragstellers wurde ohne inhaltliche Entscheidung eingestellt. Ein eingestelltes Verfahren ist nach österreichischem Asylrecht jedoch von Amts wegen fortzusetzen, falls die Person innerhalb von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens wieder in Österreich aufhältig ist. Erst nach Ablauf von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens ist eine Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr zulässig (§ 24 Abs. 2 AsylG-Österreich). Es bedarf sodann einer neuen Antragstellung in Österreich. Zum Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland am 13. Februar 2023 muss die Zwei-Jahres-Frist seit der Einstellung noch gelaufen sein, da selbst seit der Antragstellung am 24. August 2022 in Österreich nicht mal ein Jahr vergangen war. Eine Fortsetzung des Asylverfahrens in Österreich war daher im Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland noch möglich. [...]