Yeziden droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Irak:
1. Trifft ein Mitgliedstaat eine Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz, über den ein anderer Mitgliedstaat bereits eine Entscheidung getroffen hat, und kommt zu einem abweichenden Ergebnis, dann besteht die Verpflichtung zu einer qualifizierten Auseinandersetzung mit der vorangegangenen Entscheidung. Denn eine abweichende Entscheidung legt nahe, dass die vorangegangene Entscheidung rechtswidrig ist. Dies bedarf einer ausführlichen Begründung und Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen.
2. Für irakische Yeziden aus dem Distrikt Shingal ist eine Rückkehr in ihre Heimat unzumutbar. Der IS ist nicht sicher besiegt, und die grundlegende Abneigung der irakischen/muslimischen Gesellschaft gegen Yeziden ist weiterhin geeignet, einen Nährboden für schwerste Gewaltverbrechen gegen Yeziden zu bilden.
3. Es bestehen keine ausreichenden Sicherheitsstrukturen für Yeziden in Shingal. Es ist nicht zu erwarten, dass nichtyezidische Sicherheitskräfte bereit wären, den Schutz der Yeziden sicherzustellen.
4. Angesichts der sich historisch wiederholenden Verfolgung der Yeziden und der Schwere der Verbrechen des IS an der yezidischen Bevölkerung liegt die Intensität der befürchteten Verfolgung besonders hoch. Ein besonnener und vernünftig denkender Mensch würde daher eine Rückkehr nur dann ernsthaft in Betracht ziehen, wenn eine erneute Verfolgung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.
(Leitsätze der Redaktion; Leitsatz 1 bezugnehmend auf EuGH, Urteil vom 18.06.2024 - C-753/22 - QY gg. Deutschland - asyl.net: M32485; Berufungszulassungsantrag des Bamf abgelehnt: OVG Niedersachsen, Beschluss vom 09.10.2025 – 9 LA 115/25 – asyl.net: M33689)
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Der Bescheid der Beklagten vom 26. September 2022 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 113 Abs. 5 VwGO.
Dieser Anspruch ergibt sich indes nicht unmittelbar aus der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland.
Der EuGH hat bezogen auf Personen, die bereits in einem anderen europäischen Staat Flüchtlingsschutz erhalten haben, denen der Aufenthalt dort aber nicht zugemutet werden kann, entschieden, dass in diesen Fällen im Rahmen eines neuen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes, welches gemäß den Richtlinien 2011/95 und 2013/32 geführt wird, eine neue individuelle, vollständige und aktualisierte Prüfung dieses Antrags vorgenommen werden muss. Dabei muss die entscheidende Behörde jedoch die Entscheidung des anderen Mitgliedstaats, diesem Antragsteller internationalen Schutz zu gewähren, und die Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, in vollem Umfang berücksichtigen. Die Behörde ist indes ausdrücklich nicht verpflichtet, dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft allein deshalb zuzuerkennen, weil dieser zuvor durch eine Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats als Flüchtling anerkannt wurde [...].
Der neuen Entscheidung sind sowohl solche Umstände, die der Entscheidung des Drittstaats zugrunde lagen, als auch alle im nationalen Verfahren vorgetragenen oder ermittelten Umstände sowie solche Umstände, die sich in der Zeit zwischen den Entscheidungen verändert haben (aktualisierte Entscheidung) zugrunde zu legen. Die Verpflichtung zum Informationsaustausch soll die Behörde des mit dem neuen Antrag befassten Mitgliedstaats in die Lage versetzen, die ihr im Rahmen des Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes obliegenden Überprüfungen in voller Kenntnis der Sachlage vorzunehmen [...]. Soweit einzelne Gerichte eine Beiziehung der Verfahrensakten des Drittstaats als ggf. entbehrlich bezeichnen [...], kann dies allenfalls in atypischen Ausnahmefällen mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbar sein. Jedenfalls sind an die Offensichtlichkeit der Entbehrlichkeit erhebliche Anforderungen zu stellen. Die bloße Verzögerung eines Verfahrens um einige Monate ist demgegenüber kein hinreichender Grund für einen Verzicht auf die vom EuGH ausdrücklich geforderte Beiziehung der Verfahrensakten. [...]
Zusätzlich zu den Anhaltspunkten, auf denen die Entscheidung beruht, ist auch die Entscheidung als solche zu berücksichtigen. Neben dem Tenor differenziert auch die Begründung des EuGH zwischen den Tatsachen als solchen und der Entscheidung und betont dabei an zwei Stellen, dass es keinen Spielraum für divergierende Entscheidungen bei einem Schutzsuchenden gibt. Kommen zwei Mitgliedsstaaten bei ihrer Prüfung zu unterschiedlichen Ergebnissen, so ist eine dieser Entscheidungen notwendigerweise rechtswidrig. Die Berücksichtigung der Entscheidung muss diesen Widerspruch auflösen und für Kohärenz sorgen. [...] Die Berücksichtigung der Entscheidung steht also vor der Vermutung, dass der ursprünglich Schutz gewährende Mitgliedsstaat diese gebundene [...] Entscheidung richtigerweise getroffen hat.
Kommt der nunmehr entscheidende Mitgliedsstaat daher bei seiner Prüfung zu einem von der ursprünglichen Entscheidung divergierenden Ergebnis, so muss er im Rahmen einer qualifizierten Auseinandersetzung mit der ursprünglichen Entscheidung diesen Widerspruch auflösen, daher insbesondere darlegen, aus welchen Gründen die vorangegangene Entscheidung – gegebenenfalls nunmehr – rechtswidrig ist. In Betracht kommen hierfür etwa eine Veränderung der allgemeinen Lage, die fehlende Berücksichtigung von Erkenntnismitteln, die Berücksichtigung fehlerhafter Erkenntnismittel (z. B. Passfälschungen) und die Berücksichtigung nachweislich falscher Angaben des Antragstellers. Dabei muss nicht nur der abweichende Sachverhalt konkret benannt werden, es muss auch herausgearbeitet werden, dass gerade aufgrund dieser Abweichung eine andere Entscheidung ergehen muss. Der pauschale Verweis auf einen Zeitablauf, auch wenn es sich um viele Jahre handelt, ist nicht ausreichend.
Eine divergierende Entscheidung kann auch darauf gestützt werden, dass die ursprüngliche Entscheidung auf einer abweichenden Rechtsgrundlage beruht. Den Mitgliedsstaaten ist es grundsätzlich nachgelassen, für Antragsteller günstigere Normen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu schaffen (Art. 3 der Richtlinie 2011/95). Beruht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des Drittstaats auf einer solchen Regelung, kann dies als Grundlage für eine abweichende Entscheidung herangezogen werden. Auch dies bedarf der Herausarbeitung der konkreten Rechtsgrundlage und in wie weit diese – und allein diese – entscheidungserheblich war.
Zuletzt kann eine divergierende Entscheidung auch auf rechtliche Fehler der ursprünglichen Entscheidung gestützt werden. Hierzu gehören Subsumtionsfehler und das Weglassen von Tatbestandsmerkmalen ebenso wie das willkürliche Hinzufügen von nicht existierenden Tatbestandsmerkmalen. Bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Eine Auseinandersetzung mit der zusprechenden Entscheidung eines Drittstaats muss frei von allen subjektiven Elementen erfolgen. Nicht ausreichend ist es daher, wenn der nunmehr zuständige Mitgliedsstaat seine divergierende Entscheidung allein damit begründet, er komme aufgrund einer anderen Einschätzung zu einem anderen Ergebnis. Es muss herausgearbeitet werden, an welchen Stellen und aus welchen konkreten Gründen von der Entscheidung des Drittstaats abgewichen wird und warum diese Entscheidung keinen Bestand haben kann.
Die qualifizierte Auseinandersetzung im Falle einer divergierenden Entscheidung ist auch vor dem Hintergrund der Rückführungsentscheidung erheblich. Es ist den Mitgliedsstaaten unionsrechtlich grundsätzlich versagt, Personen, die in einem Drittstaat Schutz erhalten haben, in Länder abzuschieben, in denen ihnen nach der Entscheidung des Drittstaats eine Gefahr droht (Art. 21 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU). Im deutschen Recht ist dies in § 60 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG geregelt. Danach darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [...] ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Fehlt es an einer qualifizierten Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Drittstaats, so stehen sich nach Abschluss des weiteren Asylverfahrens im Falle einer divergierenden Entscheidung weiterhin zwei sich widersprechende Entscheidungen gegenüber, von denen keine für sich beanspruchen kann, die jeweils andere zu überlagern. Allein die Tatsache, dass eine der Entscheidungen jüngeren Datums ist, ist hierfür jedenfalls nicht ausreichend. Nur wenn qualifiziert dargelegt wird, warum an der Entscheidung des Drittstaats nicht (mehr) festgehalten werden kann, kann überhaupt Raum für eine Rückführungsentscheidung in den Heimatstaat des Antragstellers bestehen. [...]
Die Kläger haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den §§ 3 ff. AsylG. Den Klägern droht in ihrer Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit. [...]
Für die Kläger als irakische Yeziden aus dem Distrikt Shingal ist eine Rückkehr in ihre Heimat unzumutbar. [...]
Nach all dem besteht im Bezirk Shingal weiterhin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung der yezidischen Zivilbevölkerung.
Der IS ist weiterhin nicht sicher besiegt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die – nur schwer unabhängig überprüfbaren – Berichte zum gegenwärtigen militärischen Potential des IS zutreffend sind, fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass der IS in Zukunft nicht wieder erstarken könnte. Trotz des nunmehr zehnjährigen Antiterrorkampfs mit zehntausenden von Soldaten bzw. Paramilitärs und Unterstützung durch westliche Geheimdienste, Truppen und Waffensysteme konnte der IS nur eingedämmt, nicht aber vollständig besiegt werden. Es bedarf augenscheinlich noch immer einer erheblichen militärischen Präsenz und Aktivität, um die Sicherheitslage zu konsolidieren.
Es bestehen in Shingal auch im Übrigen keine ausreichenden Sicherheitsstrukturen für Yeziden. Trotz der Erfolge beim Antiterrorkampf ist die Sicherheitslage fragil. Die verschiedenen bewaffneten staatlichen und quasi-staatlichen Sicherheitstruppen unterstehen keinem einheitlichen Kommando. Sie bekämpfen sich immer wieder auch gegenseitig und verfolgen eigene, von ihrem eigentlichen Sicherheitsauftrag unabhängige Ziele. Die einzigen yezidischen Kampfeinheiten sind schon zahlenmäßig nicht besonders groß; sie werden zudem aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Nähe zur PKK auch aktiv durch die türkische Armee bekämpft und so in ihrer Kampfkraft beschränkt. Weder für Peschmerga, noch für die PMF oder die Truppen der irakischen Armee kann zudem sicher davon ausgegangen werden, dass diese im Falle eines erneuten Angriffs massierter Kräfte sich einem Gefecht stellen würden. Die gegenwärtigen Sicherungs- und Antiterroreinsätze bieten keine Gewähr dafür, dass die Truppen auch bei unvorbereiteten Einsätzen mit weniger ungleichen Kräfteverhältnissen standhalten können oder auch nur wollen. Durch die heterogene, ständigen Veränderungen unterliegende Zusammensetzung der Milizen besteht zudem die erhebliche Gefahr, dass im Falle einer plötzlichen Veränderung der Sicherheitslage die ohnehin bestehenden, kaum durchschaubaren Konflikte zwischen den einzelnen Gruppen weiter eskalieren. Schon jetzt kommt es regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen, die immer wieder auch weitere Vertreibungen der Bevölkerung zur Folge haben Nach all dem besteht im Bezirk Shingal weiterhin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung der yezidischen Zivilbevölkerung. Sowohl die irakische Armee, als auch die kurdischen Peschmerga sind beim Vorrücken des IS trotz eigener zahlenmäßiger und technischer Überlegenheit unkontrolliert geflüchtet. Belastbare Ansatzpunkte dafür, dass diese militärischen Organisationen nunmehr standhafter wären und auch für die Yeziden mit hinreichender Sicherheit bereit wären, ihre Positionen zu halten, sind nicht ersichtlich. Insofern ist auch weiterhin beachtlich, dass die Yeziden nicht nur religiös, sondern auch ethnologisch-kulturell isoliert sind und im Konflikt zwischen Kurden und Arabern schnell zwischen die Fronten geraten können. Insgesamt ist nicht zu erwarten, dass nicht-yezidische Sicherheitskräfte im Zweifel bereit wären, ihre eigenen ökonomischen, territorialen oder militärischen Interessen hinter den Schutz der Yeziden zu stellen.
Auch überregional ist die Sicherheitslage nicht hinreichend stabilisiert. Die Grenze zu Syrien ist weiterhin kaum gesichert. Die Sicherheitslage im Nachbarland ist volatil, nach dem Sturz des Assad-Regimes übt auch die neue Regierung keine vollständige Kontrolle über das Land aus. Die entlegenen östlichen Regionen in der Nähe der irakischen Grenze werden von unterschiedlichen (ehemaligen) Rebellengruppen gehalten, die sich nur teilweise zur neuen Regierung bekannt haben und sowohl durch den IS, andere Rebellengruppen als auch durch die Türkei militärisch unter Druck gesetzt werden. Eine syrische Einheitsregierung, die willens und in der Lage ist, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Religions- und Volksgruppen zu respektieren und einen dauerhaften Ausgleich zwischen diesen zu vermitteln, ist nicht absehbar. Vielmehr besteht auf absehbare Zeit die Gefahr, dass in Syrien in weiten Teilen des Landes unklare und wechselhafte Herrschaftsverhältnisse vorliegen werden. Grundsätzlich verbleibt es damit dabei, dass in Syrien radikal-islamische Terrorgruppen erneut einen Platz zum Aufbau erheblicher Kräfte finden und diesen Konflikt über die Grenze hinweg in den weiterhin nicht hinreichend stabilisierten Irak tragen könnten.
Die ungebrochene Präsenz des IS im Irak ist auch darauf zurückzuführen, dass der gesellschaftliche Nährboden für dessen radikal-islamische Ideologie und insbesondere für eine erneute Verfolgung von Yeziden weiterhin unverändert vorhanden ist. Die yezidische Religion wird von der irakischen Bevölkerung nicht nur abgelehnt, Yeziden werden von vielen Irakern gehasst und verachtet. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sowohl seitens der Zentralregierung als auch seitens der Regierung der kurdischen Autonomieregion ein Bestreben besteht, Yeziden grundsätzlich zu achten und zu schützen, sind jedenfalls keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass dies auch für die allgemeine, insbesondere ländliche und besonders konservative Bevölkerung gilt. Yeziden können weiterhin im Irak einschließlich der autonomen Region Kurdistan nur dann weitgehend frei von unmittelbaren Anfeindungen leben, wenn sie in ihren eigenen Gemeinden verbleiben und Berührungen mit der muslimischen Mehrheit vermeiden. Diese grundlegende Abneigung ist weiterhin und ungeachtet der Existenz des IS geeignet, auch jenseits einfacher Diskriminierungen einen Nährboden für schwerste Gewaltverbrechen gegen Yeziden zu bilden. Der IS ist weder die erste Entität, die Yeziden verfolgt hat, noch ist er die einzige aktive Terrororganisation, für die die Verfolgung von Yeziden wesentlicher Teil ihrer Überzeugung ist. Die Gefahr einer Verfolgung für Yeziden kann daher nicht nur auf die Existenz und das Potential des IS, der letztlich nur Symptom bzw. Teil einer komplexeren soziokulturellen Gemengelage ist, reduziert werden. Vielmehr besteht im Irak jederzeit die Gefahr, dass ethno-religiöse Konflikte wie jener zwischen der kurdischen Autonomieregion und der arabisch-irakischen Zentralregierung oder Konflikte um Wasser, Land und Ressourcen auch und gerade aufgrund der seit Jahrhunderten andauernden Entmenschlichung des yezidischen Volks durch die muslimische Mehrheitsgesellschaft auf die Yeziden übergreifen. Der Völkermord an den Yeziden im Jahr 2014 ist insofern keine singuläre Erscheinung, deren Wiederholungsgefahr mit der militärischen Niederlage der Täterorganisation hinreichend eingedämmt werden könnte. Vielmehr stellt er nur eine weitere Episode der zahlreichen Angriffe, Vertreibungen und Pogrome, denen Yeziden im Irak seit Jahrhunderten ausgesetzt sind, dar. Mit der militärischen Niederlage des IS ist allenfalls diese letzte Episode zu Ende gegangen. Die religiösen, ethnologischen und gesellschaftlichen Grundlagen, auf denen diese Verfolgung beruhte, sind in der irakischen Gesellschaft jedoch ungebrochen vorhanden. [...]
Hiernach kommt die Kammer zu der Überzeugung, dass auch ein besonnener und vernünftig denkender Mensch als Yezide von einer Rückkehr in die Region Shingal absehen würde. Angesichts der historisch sich regelmäßig wiederholenden Verfolgung der Yeziden und der Schwere der Verbrechen des IS an der yezidischen Bevölkerung, bei denen selbst der sofortige Tod nicht zu den schlimmsten Schicksalen gehörte, liegt die Intensität der befürchteten Verfolgung hier besonders hoch. Ein besonnener und vernünftig denkender Mensch würde daher nur dann eine Rückkehr ernsthaft in Betracht ziehen, wenn die Realisierung dieser Gefahr nicht nur unwahrscheinlich ist, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Hierfür bedarf es nicht nur einer endgültigen und vollständigen Niederlage des Verfolgers. Auch der gesellschaftliche Nährboden, auf dem die Verfolgung beruhte, darf nicht länger in relevantem Umfang vorhanden sein. Zuletzt müssen auch langfristig verlässliche nationale und internationale Sicherheitsstrukturen bestehen, die im Falle einer erneuten Verfolgung ausreichend Gewähr für einen Schutz der Verfolgten bieten. Derzeit ist keine dieser Bedingungen in der Region Shingal vollständig erfüllt. [...]