Pflicht zur Information von Angehörigen oder einer Person des Vertrauens bei Freiheitsentziehung:
1. Aus Art. 104 Abs. 4 GG ergibt sich die Pflicht, bei jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich einen Angehörigen oder eine Person des Vertrauens zu informieren. Der Zweck der Norm ist es, einen Kontakt der inhaftierten Person nach außen zu sichern und ein spurloses Verschwinden von Personen zu verhindern.
2. Das Gericht hat den Festgehaltenen über die bestehende Benachrichtigungspflicht zu informieren. Das Gericht hat dabei deutlich zu machen, dass eine Pflicht zur Benachrichtigung besteht, unabhängig von dem Verlangen des Einzelnen. Äußert das Gericht, dass die Benachrichtigung lediglich optional ist, verstößt es gegen Art. 104 Abs. 4 GG.
3. Das Gericht hat die Benachrichtigung von Angehörigen oder einer Person des Vertrauens selbst vorzunehmen oder jedenfalls die Benachrichtigung sicherzustellen. Dazu hat es auch weitere Ermittlungen für eine Kontaktaufnahme, zum Beispiel Einholung einer Meldeauskunft, von Amts wegen einzuleiten.
4. Das Gericht ist verpflichtet, die Reaktion von Betroffenen auf die Informationspflicht in der Niederschrift der Anhörung festzuhalten. Ohne die Dokumentation ist eine wirksame Kontrolle gerichtlicher Maßnahmen unmöglich.
5. In der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ist bislang ungeklärt, ob ein Verzicht auf die Benachrichtigung seitens der Betroffenen zulässig ist. Jedenfalls wären an eine Verzichtserklärung strenge Anforderungen zu stellen.
6. Ein Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
11 a) Das Amtsgericht hat das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt, indem es pflichtwidrig weder einen Angehörigen noch eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers über dessen Inhaftierung informiert hat.
12 aa) Art. 104 Abs. 4 GG, wonach von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist, ist nicht nur eine objektive Verfassungsnorm, die dem Richter eine Verpflichtung auferlegt; sie verleiht dem Festgehaltenen vielmehr zugleich ein subjektives Recht darauf, dass die Vorschrift beachtet wird [...]. Der Zweck des Art. 104 Abs. 4 GG ist es, einer in Haft genommenen Person den Kontakt nach außen zu sichern und damit ein spurloses Verschwinden von Personen zu verhindern [...].
13 Das Gericht hat den Festgehaltenen zunächst über die Benachrichtigungspflicht des Art. 104 Abs. 4 GG zu informieren. Macht der Betroffene daraufhin Angaben zu einer zu benachrichtigenden Person, auf deren Grundlage eine Kontaktaufnahme nicht ohne Weiteres möglich ist, so obliegt dem Gericht eine Pflicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen, wie etwa der Einholung einer Meldeauskunft. Danach hat es sicherzustellen, dass die Benachrichtigung von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung tatsächlich erfolgt. Diese Benachrichtigung kann nicht davon abhängen, ob der Festgehaltene ohne weitere Vorbereitung - und gegebenenfalls sogar auswendig - Kontaktdaten seiner Vertrauensperson nennen kann [...]. Eine solche Annahme würde, ebenso wie die bloße Einräumung einer BenachrichtigungsmögIichkeit, die Schutzfunktion der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Benachrichtigungspflicht aushebeln.
14 bb) Gemessen an den vorstehenden Maßstäben hat das Amtsgericht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 104 Abs. 4 GG verletzt.
15 (1) Das Amtsgericht hat gegen die ihm nach Art. 104 Abs. 4 GG obliegenden Pflichten bereits dadurch verstoßen, dass es den Beschwerdeführer ausweislich der Niederschrift zur Anhörung lediglich auf die "Möglichkeit", einen Angehörigen oder eine Vertrauensperson von seiner Inhaftierung zu benachrichtigen, hingewiesen hat. Dem Gehalt des Art. 104 Abs. 4 GG als objektiver Verfassungsnorm, die den Richter unabhängig von einem entsprechenden Verlangen des Festgehaltenen zur Benachrichtigung einer Vertrauensperson verpflichtet, widerspricht es aber, wenn das Gericht bei dem Betroffenen den Eindruck erweckt, eine Benachrichtigung sei optional. Art. 104 Abs. 4 GG verlangt demgegenüber unmissverständlich, dass ein Angehöriger oder eine Vertrauensperson unterrichtet werden muss; Aufgabe des Gerichts ist es, diese Benachrichtigung selbst vorzunehmen oder sie auf andere Weise sicherzustellen.
16 (2) Des Weiteren hat das Amtsgericht dadurch gegen Art. 104 Abs. 4 GG verstoßen, dass es unter Missachtung des aus Art. 104 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgenden Gebots, die Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit staatlichen Handelns und insbesondere intensiver Grundrechtseingriffe sicherzustellen, in der Niederschrift zur Anhörung des Beschwerdeführers nicht dokumentiert hat, wie der Beschwerdeführer auf den Hinweis, dass die "Möglichkeit" der Benachrichtigung einer Vertrauensperson bestehe, reagiert hat und aus welchem Grund das Gericht schlussendlich von einer Benachrichtigung Angehöriger oder Personen seines Vertrauens abgesehen hat. Damit ist ohne Weiteres von einem Verstoß gegen Art. 104 Abs. 4 GG auszugehen, denn ohne eine hinreichende Dokumentation kann keine wirksame Kontrolle der gerichtlichen Maßnahmen erfolgen. Dies wirkt zugunsten des Beschwerdeführers [...].
18 b) Das Landgericht hat den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Recht aus Art. 104 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, indem es dessen Antrag auf Feststellung einer Verletzung in seinem Recht aus Art. 104 Abs. 4 GG zurückgewiesen und den Verstoß des Amtsgerichts damit erneuert und perpetuiert hat. [...]
20 bb) Mit Art. 104 Abs. 4 und Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar ist die Annahme des Landgerichts, der Beschwerdeführer habe auf eine Benachrichtigung von Angehörigen oder Personen seines Vertrauens verzichtet. Dies gilt bereits deshalb, weil das Landgericht dadurch seine eigene nachträgliche Einschätzung an die Stelle der Entscheidung des Amtsgerichts, von einer Benachrichtigung abzusehen, setzt; dies entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen [...]. Vielmehr hätte es dem Landgericht oblegen, zu ermitteln, aus welchem Grund die Haftrichterin am Amtsgericht von der Benachrichtigung Angehöriger abgesehen hat.
21 Zudem ist in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung bislang ungeklärt, ob Sinn und Zweck der Vorschrift des Art. 104 Abs. 4 GG einen Verzicht des Betroffenen überhaupt zulassen. Jedenfalls wären an einen Verzicht strenge Anforderungen zu stellen und mögliche Verzichtserklärungen eng auszulegen [...].
23 2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 25. Februar 2021 über die Anordnung der Abschiebungshaft wendet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig ist.
24 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt die Nichtbenachrichtigung eines Angehörigen beziehungsweise einer Vertrauensperson den in Haft befindlichen Betroffenen nicht zusätzlich in seinem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG, sodass die Haftanordnung nicht wegen der Nichtbenachrichtigung aufzuheben ist; dass dies erneuter Überprüfung bedürfte, macht die vorliegende Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend substantiiert geltend. [...]