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SG Heilbronn

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Zitieren als:
SG Heilbronn, Beschluss vom 23.06.2025 - S 15 AY 1361/25 ER - asyl.net: M33452
https://www.asyl.net/rsdb/m33452
Leitsatz:

Pflicht zur Übernahme von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bei Anschlussversicherung: 

1. Besteht nach Beendigung der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wieder ein Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sind die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung im Rahmen der sog. obligatorischen Anschlussversicherung gemäß  § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG als sonstige Leistungen zu gewähren. 

2. Die Übernahme der Leistungen ist zur Sicherung des Lebensunterhaltes erforderlich. Die Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind nicht ausreichend, um die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen. Es bestünde die Gefahr einer Unterschreitung des Existenzminimums. 

(Leitsätze der Redaktion, Siehe auch: SG Karlsruhe, Beschluss vom 31.03.2025 - S 12 AY 706/25 ER - asyl.net: M33240

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Versicherung, Krankenversicherung, Sozialversicherung, Anschlussversicherung, sonstige Leistungen, Sozialrecht, Versicherungsbeiträge, Existenzminimum,
Normen: AsylbLG § 3, AsylbLG § 6 Abs. 1 S. 1, SGG § 86b Abs. 2 S. 2, SGB V § 188 Abs. 4, SGB XI § 20 Abs. 3
Auszüge:

[...]

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig ab 02.06.2025 Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung in Höhe von monatlich 252,17 € gemäß Bescheid der AOK Baden-Württemberg vom 25.03.2025 für den Antragsteller zu übernehmen. [...]

Der Antragsteller übte vom 01.10.2024 bis … 2025 ein befristetes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis als Helfer ... aus, in dessen Rahmen er bei der AOK Baden-Württemberg gesetzlich kranken- und sozial pflegeversichert war. Mit Beitragsbescheid vom 25.03.2025 machte die AOK Baden-Württemberg gegenüber dem Antragsteller ab 22.02.2025 monatliche Beiträge zur Krankenversicherung i.H.v. 207,23 € und zur Pflegeversicherung i.H.v. 44,94 € (Gesamtbeitrag pro Monat: 252,17 €) für eine freiwillige Mitgliedschaft des Antragstellers im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung geltend. Mit E-Mail vom 09.04.2025 beantragte eine Flüchtlingssozialarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes für den Antragsteller die Übernahme der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge durch den Antragsgegner. [...]

Ein Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 6 Abs. 1 S. 1 AsylbLG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG können Asylbewerbern sonstige Leistungen insbesondere auch dann gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich [...] sind. [...] § 6 AsylbLG ist eine Öffnungsklausel, um im Einzelfall das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum sicherzustellen, dem andernfalls nicht ausreichend Rechnung getragen werden könnte, da das Gesetz überwiegend pauschalierte Leistungen vorsieht. [...]

Der Antragsteller ist nach § 188 Abs. 4 SGB V bzw. § 20 Abs. 3 SGB XI verpflichtet, gemäß Bescheid der AOK Baden-Württemberg vom 25.03.2025 Beiträge zur gesetzlichen Kranken- bzw. sozialen Pflegeversicherung i.H.v. monatlich insgesamt 252,17 € zu bezahlen. Der Antragsteller hat keine Möglichkeit, dieser Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge zu entgehen. Zwar hat der Gesetzgeber im Rahmen des AsylbLG keine Krankenversicherungspflicht vorgesehen, sondern den insoweit bestehenden Bedarf an Gesundheitsleistungen über §§ 4 und 6 AsylbLG gewährt [...]. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [...] sind diese Leistungen aber nicht mit einer Absicherung im Krankheitsfall nach § 188 Abs. 4 Satz 2 SGB V gleichzustellen, weswegen die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V nach dem Ende einer versicherungspflichtigen Beschäftigung eintritt. Die AOK ist laut Auskunft vom 12.06.2025 auch nicht bereit, im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Antragstellers von der Erhebung der Beiträge abzusehen. Würde der Antragsteller die Beiträge in Höhe von monatlich 252,17 € entrichten, so würden ihm angesichts des aktuell vom Antragsgegner gewährten persönlichen Bedarfs i.H.v. 220 € und des notwendigen persönlichen Bedarfs i.H.v. 177 € lediglich 144,83 € pro Monat zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verbleiben. Dieser Geldbetrag reicht offensichtlich nicht, den Lebensunterhalt des Antragstellers zu decken, da bereits die Kosten für Lebensmittel über diesem Betrag liegen dürften. Damit ist die Übernahme der streitgegenständlichen Beiträge durch den Antragsgegner zur Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG unerlässlich und der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Beiträge als sonstige Leistung zu gewähren. Hiervon geht im Übrigen auch der Gesetzgeber aus, denn in o.g. Gesetzesentwurf (BT-Drs 18/2592, Seite 24) führt er aus: "Für die Leistungsberechtigten nach § 3, die gleichwohl gesetzlich krankenversichert sind, erfolgt eine ergänzende Bedarfsdeckung über den § 6." [...].

Damit hat der Antragsgegner die Beiträge des Antragstellers gemäß Bescheid der AOK Baden-Württemberg vom 25.03.2025 zu übernehmen. Angesichts der oben dargestellten Umstände und der Gesetzesbegründung ist das Ermessen des Antragsgegners auf Null reduziert. Die Leistungen sind vorliegend in Geld zu erbringen, da Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht im Wege der Sachleistung erbracht werden können, mithin besondere Umstände i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG vorliegen. [...]