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LG Mainz

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Zitieren als:
LG Mainz, Beschluss vom 15.10.2025 - 8 T 174/25 - asyl.net: M33660
https://www.asyl.net/rsdb/m33660
Leitsatz:

Anordnung von Ausreisegewahrsam erfordert Ermessensausübung: 

Die Anordnung von Ausreisegewahrsam ist nur rechtmäßig, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62b AufenthG vorliegen und das Gericht sein Anordnungsermessen pflichtgemäß ausübt. Der Ermessenausübung genügt es nicht, wenn das Amtsgericht nur floskelhaft von "Ermessensgerechtigkeit" spricht. Es ist erforderlich, den konkreten Einzelfall betreffende Gründe zu benennen und in die Ermessenerwägungen einzubeziehen. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Ausreisegewahrsam, Ermessen, Ermessensnichtgebrauch
Normen: AufenthG § 62b
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist begründet. Die Anordnung des Ausreisegewahrsams war rechtswidrig, weil das Amtsgericht Saarbrücken von seinem Anordnungsermessen keinen Gebrauch gemacht hat.

Nach § 62b Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann ein Ausländer unabhängig von den Voraussetzungen der Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG, insbesondere vom Vorliegen der Fluchtgefahr, zur Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebung auf richterliche Anordnung bis zu 28 Tage in Gewahrsam genommen werden, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist, feststeht, dass die Abschiebung innerhalb dieser Frist durchgeführt werden kann und der Ausländer ein Verhalten gezeigt hat, das erwarten lässt, dass er die Abschiebung erschweren oder vereiteln wird.

Diese Voraussetzungen hat das Amtsgericht Saarbrücken zu Recht angenommen. Verkannt hat es indessen, dass die Erfüllung der Voraussetzungen - anders als die gebundene Entscheidung der Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 AufenthG - nicht zwingend die Anordnung des Ausreisegewahrsams zur Folge hat. Vielmehr liegt diese im pflichtgemäßen Ermessen des Haftrichters [...], was sich bereits aus dem Wortlaut der Norm ("kann") ergibt. Die Anordnung von Ausreisegewahrsam ist deshalb nur rechtmäßig, wenn der Haftrichter nicht nur das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 62b AufenthG festgestellt, sondern auch sein Anordnungsermessen pflichtgemäß ausgeübt und eine Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen und dem staatlichen Interesse an der zügigen Durchführung der Abschiebehaft vorgenommen hat. Die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gründe sind - wenn auch in knapper Form - in der Entscheidung darzulegen (§ 38 Abs. 3 Satz 1 FamFG) [...].

Die Ausübung dieses Anordnungsermessens ist aus der Beschlussbegründung nicht ersichtlich. Das Amtsgericht spricht vielmehr floskelhaft davon, dass die Anordnung ermessensgerecht sei und nicht gegen das Übermaßverbot verstoße. Es nennt in seinen Gründen nicht einen einzigen Aspekt, der konkret auf den Betroffenen und seine Situation zugeschnitten war. Damit trifft das Amtsgericht im Kern aber gar keine Ermessensentscheidung. Auch die Darlegungen zur Verhältnismäßigkeit lassen keine ausdrückliche Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Betroffenen und dem staatlichen Interesse an der zügigen Durchführung seiner Abschiebung erkennen. Sie erschöpfen sich vielmehr in der Feststellung, dass keine weniger rechtsbeeinträchtigende Maßnahmen ersichtlich sind und auch im Einzelfall das Interesse am Vollzug der zügigen Umsetzung der Ausreisepflicht überwiegt. Eine Subsumtion, die einen Bezug zum Einzelfall des Betroffenen erkennen und darauf schließen lässt, dass das Amtsgericht eine auf den Einzelfall des Betroffenen zugeschnittene Ermessensausübung vorgenommen hat, enthalten die Beschlussgründe nicht. Dies ist für die Annahme einer Ermessensausübung nicht ausreichend. [...]