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VG Leipzig

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Zitieren als:
VG Leipzig, Urteil vom 11.08.2025 - 7 K 199/25.A - asyl.net: M33736
https://www.asyl.net/rsdb/m33736
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung von homosexuellen Personen in Pakistan:

1. Homosexuelle Personen bilden in Pakistan eine soziale Gruppe. Für eine asylrelevante Gruppenverfolgung fehlt es jedoch an einer erheblichen Verfolgungsdichte.

2. Dem Kläger droht keine Verfolgung. Er hat keine Vorverfolgung geltend gemacht, sondern angegeben, dass er nie Probleme mit der Polizei gehabt habe. Außerdem ist es für die Identität des Klägers nicht bedeutsam, seine Sexualität in der Öffentlichkeit auszuleben.

(Leitsätze der Redaktion; siehe zur Diskretion allerdings EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12; C-200/12; C-201/12 (Asylmagazin 12/2013) - asyl.net: M21260, woraus hervorgeht, dass bei Prüfung eines Asylantrags die "Diskretion" bei der sexuellen Orientierung weder unterstellt noch prognostisch vermutet werden darf und dass daraus auch keine Schlüsse gezogen werden dürfen; siehe auch VG Leipzig, Urteil vom 18.11.2021 - 3 K 1759/20.A (Asylmagazin 1-2/2022, S. 43 ff.) - asyl.net: M30248).

Schlagwörter: Pakistan, homosexuell, Gruppenverfolgung, soziale Gruppe, Flüchtlingseigenschaft, Diskretion,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 4
Auszüge:

[...]

Das Gericht konnte sich auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens weder davon überzeugen, dass der Kläger sein Heimatland vorverfolgt verlassen hat noch davon, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.

Zwar ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist und deshalb einer "sozialen Gruppe" gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG i.V.m. Art. 10 Abs. 1 lit. d) Richtlinie 2011/95/EU angehört. Ihm ist jedoch weder unter dem Gesichtspunkt der Gruppenverfolgung noch aufgrund einer individuellen Verfolgung als Homosexueller die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. [...]

Nach diesen Grundsätzen fällt die individuelle Gefahrenprognose zur Überzeugung des Gerichts nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dahingehend aus, dass ihm bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Der Kläger hat keine ihm vor seiner Ausreise widerfahrende staatliche Verfolgung geltend gemacht. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat er vielmehr erklärt, dass er nie Probleme mit der Polizei oder anderen Sicherheitsbehörden gehabt habe. Auch in der mündlichen Verhandlung ist deutlich geworden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Pakistan nur eine Verfolgung durch seine Familie wegen seiner Homosexualität fürchtet. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Ausreise bereits 24 Jahre alt war und damit nach eigenen Angaben bereits rund sechs Jahre unbehelligt als Homosexueller gelebt hat und davon ca. vier Jahre mit einem Freund, mit dem er zwei Jahre zusammen gewesen ist. Seine Sexualität hat er zudem teilweise auch mit seinem Bruder in den häuslichen Räumlichkeiten ausgelebt. Nachdem der Kläger und sein Bruder zuhause ausgezogen und in ein anderes Stadtviertel in eine eigene Wohnung gezogen seien, habe es keine Problem mit der Familie (mehr) gegeben.

Das Gericht zweifelt angesichts der Angaben des Klägers nicht daran, dass es dem Kläger ein Bedürfnis ist, sich seine sexuellen Wünsche zu erfüllen. Das Gericht ist jedoch nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger für seine Identität wichtig ist, seine Sexualität auch in der Öffentlichkeit auszuleben. Er betonte insoweit mehrfach, dass er seine Homosexualität in Pakistan nicht in der Öffentlichkeit ausgelebt habe. Hier in Deutschland könne er seine Sexualität zwar offen zeigen, er nehme aber Rücksicht, wenn er seinen Freund, der im gleichen Hotel arbeite, auf Arbeit treffe. Es wird insoweit deutlich, dass er aufgrund der sozialen Erwartungshaltung in Deutschland bereit ist, sein sexuelles Verhalten anzupassen und mehr im Privaten auszuleben. Er hat nicht ausgeführt, dass er unter dieser Beschränkung in Pakistan gelitten hätte oder darunter in Deutschland leiden würde. Vielmehr drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass es dem Kläger um die Befriedigung sexuellen Bedürfnisse geht, wobei es ihm nicht darauf ankommt, dies gerade in der Öffentlichkeit zu tun. Dabei pflegt der Kläger beim Umgang mit seinem Freund ein gewisses Maß an Diskretion. Selbst wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass er in Deutschland mit seinen Partnern auch Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit austausche, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Dies zeigt zwar, dass er in Deutschland hinsichtlich seiner sexuellen Orientierung keineswegs allgemein ein Schamgefühl empfindet, sondern zumindest vor ihm Unbekannten auch zu seiner sexuellen Orientierung steht. Aus seinem Vorbringen ergeben sich jedoch auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es für ihn irgendeine Bedeutung hätte, seine Sexualität gerade in der Öffentlichkeit zu leben.

Soweit der Kläger bei seiner Rückkehr nach Pakistan wegen seiner sexuellen Orientierung eine Verfolgung durch seine Familie fürchtet, ist er gemäß § 3e AsylG auf internen Schutz in einer pakistanischen Großstadt zu verweisen. Dies bestätigt der Kläger selbst, wenn er vor dem Bundesamt angibt, dass es nach dem Auszug in eine eigene Wohnung in einem anderen Stadtteil keine Probleme mit der Familie gegeben habe, selbst wenn seine Brüder noch nach ihm gesucht hätten. [...]