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Teilweise erfolgreiche Verfassungsbeschwerde afghanischer Staatsangehöriger

Mit Beschluss vom 4. Dezember 2025 - 2 BvR 1511/25 hat das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines afghanischen Richters und seiner Familie, die auf der sogenannten "Überbrückungsliste" standen und so eine Aufnahmeerklärung gemäß § 22 AufenthG hatten, teilweise stattgegeben und Deutschland dazu verpflichtet, die Visaanträge der Beschwerdeführenden umgehend zu bescheiden. Enthalten hat sich das Bundesverfassungsgericht allerdings zu der Frage, ob ein Anspruch auf Erteilung der Visa besteht.

Hintergrund des Verfahrens 

Beschwerdeführende des Verfahrens sind ein afghanischer Staatsangehöriger, der in Afghanistan vor der Machtübernahme der Taliban als Richter am Obersten Gericht Afghanistans tätig war, sowie seine Familie. Der Beschwerdeführer habe als Richter über viele Taliban geurteilt und nach der Machtübernahme Morddrohungen erhalten. Die Familie wurde Ende 2022 in die sogenannten "Überbrückungsliste" aufgenommen und erhielt eine Aufnahmezusage gemäß § 22 AufenthG. Das Programm diente der Überbrückung des Zeitraums bis zum Beginn des Bundesaufnahmeprogramms, das die damals neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag im Dezember 2021 beschlossen hatte. Im Juli 2025 wurde das Aufnahmeprogramm offiziell ausgesetzt, was auch zu einer Aussetzung der anhängigen Visverfahren führte. 

Im Juni 2025 erhob die Familie Klage und Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Berlin und beantragte, die Beklagte zu verpflichten, Visa zu erteilen. Das  VG Berlin entschied mit Beschluss vom 21.07.2025, Az. 30 L 208/25 V (nicht veröffentlicht), dass die Visa zu erteilen seien, da aus der Aufnahmezusage, die nicht aufgehoben worden sei, ein Anspruch entstanden sei. Diese Entscheidung wurde durch das Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg mit Beschluss vom 28.08.2025 (Az. 6 S 47/25 - asyl.net: M33676) wieder aufgehoben. Das OVG argumentierte, dass aus § 22 Satz 2 AufenthG für die Antragstellenden kein subjektiv-öffentliches Recht auf Aufnahme entstehe, sondern es im Ermessen der Exekutive liege, unter welchen Voraussetzungen Ausländer im Einzelfall zur Wahrung politischer Interessen aus dem Ausland aufgenommen werden. 

Die Konstellation in der vom BVerfG entschiedenen Klage unterscheidet sich somit von den Fällen, in denen ab Oktober 2022 eine Aufnahmezusage im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan (gemäß § 23 Abs. 2 AufenthG) erteilt wurde. In diesen Fällen hat das VG Berlin in einer Reihe von Fällen entschieden, dass Deutschland zur Erteilung von Visa verpflichtet ist bzw. die Visaanträge bescheiden muss, falls die sogenannten Sicherheitsüberprüfungen der Antragstellenden noch nicht abgeschlossen sind (vgl. Meldung auf asyl.net zu VG Berlin Beschluss vom 07.07.2025 - 8 L 290/25 V und die Erläuterungen bei familie.asyl.net unter "Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan"). Bei Aufnahmezusagen nach § 22 AufenthG hatte das OVG Berlin-Brandenburg hingegen – wie oben ausgeführt – verneint, dass für die Antragstellenden ein Anspruch auf Visaerteilung oder auf Bescheidung der Visaanträge entstanden sei.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 

Gegen die Entscheidung des OVG erhoben die Antragsteller Verfassungsbeschwerde. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2025 - 2 BvR 1511/25 wurde die Bundesregierung nun dazu verpflichtet, über die Anträge auf Erteilung eines Visums zu entscheiden. Da das Auswärtige Amt in dem Verfahren vor dem VG Berlin mitgeteilt habe, dass keine Sicherheitsbedenken gegen die Einreise vorlägen und eine Aufhebung der Aufnahmezusagen nicht beabsichtigt sei, hätte das OVG prüfen müssen, ob ein Anspruch auf Bescheidung der Visumsanträge bestehe. Zur Auffassung des OVG, dass ein subjektiv-öffentliches Interresse an der Aufnahme nicht bestehe, führte das BVerfG aus, dass die Aufnahmeerklärung vom Visumverfahren zu unterscheiden sei. Hinsichtlich des Visumverfahrens hätten die Beschwerdeführenden schon einfachrechtlich einen Anspruch auf Bescheidung ihrer Visaanträge. Einer Bescheidung stünden auch keine zureichenden Gründe entgegen. Die „Aussetzung“ des Aufnahmeprogramms könne aufgrund der zunehmenden Gefahr einer Abschiebung aus Pakistan nach Afghanistan nicht mehr als hinreichender Grund für die Verzögerung angeführt werden. Wegen der Dringlichkeit einer Entscheidung wurde das Verfahren nicht ans OVG zurückverwiesen, sondern die Bundesregierung wurde zur umgehenden Entscheidung verpflichtet. 

Keine inhaltliche Stellungnahme zur Visaerteilung 

In seiner Entscheidung offen gelassen hat das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob die beantragten Visa zu erteilen sind oder nicht. Bezüglich dieser Frage hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil es die Darlegungsanforderungen nicht als erfüllt ansah. Damit ist weiter ungeklärt, ob eine einmal erteilte Aufnahmezusage Verbindlichkeit besitzt oder den veränderlichen politischen Interessen unterworfen und damit unverbindlich ist. 

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt noch nicht im Volltext vor. Die Pressemitteilung des Gerichts ist unter dem unten angebenen Link abrufbar.


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