VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 23.07.2019 - 3 B 1160/19 - asyl.net: M27454
https://www.asyl.net/rsdb/M27454
Leitsatz:

Duldungsanspruch des werdenden Vaters bis zum Ende der Mutterschutzfrist:

1. Der Beschwerdeausschluss des § 80 AsylG gilt nur für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz. Ist Streitgegenstand die Versagung einer Duldung, handelt es sich nicht um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz. Dies gilt auch dann, wenn die zuvor ergangene Abschiebungsandrohung nach dem Asylgesetz erlassen wurde. Ein weitergehender Ausschluss widerspricht Wortlaut, Sinn und Zweck und dem historischen Willen des Gesetzgebers (anders: VGH Hessen, Beschluss vom 07.10.2019 - 6 B 2277/19.A - asyl.net: M27830).

2. Ein Duldungsanspruch besteht für den werdenden Vater bei Vorliegen einer Vaterschaftsanerkennung und einer Risikoschwangerschaft und unter der Voraussetzung, dass der werdende Vater der werdenden Mutter beistehen wird, mindestens bis zum Ablauf der gesetzlichen Mutterschutzfrist

3. Ist eine Eheschließung zwischen den werdenden Eltern geplant, hat die Ausländerbehörde, die im Besitz des Passes ist, diesen dem Standesamt zu übersenden, um die Eheschließung zu ermöglichen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungsandrohung, Asylverfahren, Ablehnungsbescheid, Prozessrecht, Beschwerdeausschluss, Vaterschaftsanerkennung, Schwangerschaft, Risikoschwangerschaft, beabsichtigte Eheschließung, Pass, Ausländerrecht, Mutterschutz, Asylrecht,
Normen: AsylG § 80, AufenthG § 60a, GG Art. 6,
Auszüge:

[...]

Ob eine Streitigkeit dem AsylG oder dem AufenthG zuzuordnen ist, bestimmt sich vorrangig nach dem Streitgegenstand des Verfahrens. Der Streitgegenstand bestimmt sich über den geltend gemachten und hier im Zentrum stehenden Anspruch, also über die begehrte Rechtsfolge, und den dafür herangezogenen Grund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll. Der geltend gemachte Anspruch im Verfahren nach § 123 VwGO ist dabei der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruches (vgl. Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyl, VwGO, Kommentar, 7. Aufl. 2018, § 123 Rdnr. 12). Es geht also darum, ob die begehrte Maßnahme oder Entscheidung ihre rechtliche Grundlage im AsylG findet oder eben nicht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.12.2018 - 11 S 2125/18 -, juris Rdnr. 2 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 25.09.1997 - 1 C 6/97 -, juris).

Keine Streitigkeit nach dem Asylgesetz liegt daher in Fällen vor, in denen der Antragsteller die Aussetzung der Abschiebung durch die Ausländerbehörde wegen asylunabhängiger Sachverhalte begehrt, denn die rechtliche Grundlage für den begehrten Anspruch findet sich in § 60a Abs. 2 AufenthG (vgl. in diesem Zusammenhang auch: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.12.2018, a.a.O., Rdnr. 2 und 3), für den eine Zuständigkeit des Bundesamtes weder besteht noch nach dem Willen des Gesetzgebers bestehen soll. Handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Sicherungsbegehren um ein nicht den asylverfahrensrechtlichen Vorschriften zuzuordnendes, sondern vielmehr um ein den allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen unterliegendes Begehren - wie hier das auf Aussetzung der Abschiebung wegen beabsichtigter Heirat bzw. Risikoschwangerschaft der Lebenspartnerin -, ist das asylrechtliche Regime verlassen. Bereits nach dem Wortlaut des § 80 AsylG greift der Beschwerdeausschluss in diesen Fällen nicht. [...]

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.01.2002 - 2 BvR 231/00 -, juris). Nach Art. 6 Abs. 4 GG hat jede, insbesondere jede werdende Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft. Der Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG erfasst Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Neben dem verbindlichen Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber, der vor allem die Gewährung einer Schonzeit vor und nach der Geburt fordert, ist die Verfassungsnorm Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Wertentscheidung, die für den gesamten Bereich des öffentlichen und privaten Rechts verbindlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.06.2004 - 2 BvR 785/04 -, juris m.w.N.). Die Zuerkennung von Abschiebungsschutz gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG für den ausländischen Vater eines noch nicht geborenen deutschen Kindes kommt dann in Betracht, wenn eine Gefahrenlage für das ungeborene Kind oder die Mutter (Risikoschwangerschaft) besteht und die Unterstützung der Schwangeren durch den Abzuschiebenden glaubhaft gemacht wird (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.01.2019 - 2 M 153/18 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.09.2012 - OVG 11 S 40.12 -, juris; Sächsisches OVG, Beschluss vom 25.01.2006 - 3 BS 274/05 -, juris; OVG Saarland, Beschluss vom 24.04.2008 - 2 B 199/08 -, juris). [...]

Dabei hat der Senat auch zu berücksichtigen gehabt, dass die von dem Antragsteller und seiner Lebenspartnerin beabsichtigte Heirat wohl vor allem deshalb nicht zustande gekommen ist, weil die Ausländerbehörde dem zuständigen Standesamt nicht den Originalpass des Antragstellers hat zukommen lassen, sondern dem Antragsteller lediglich eine beglaubigte Kopie seines Passes ausgehändigt hat, die jedoch seitens des Standesamtes nicht akzeptiert wurde. Bei der gegebenen Sachlage ist die Ausländerbehörde zwar nicht verpflichtet dem Antragsteller seinen Pass auszuhändigen, allerdings sollte der Pass im Original dem Standesamt übersandt werden, um die Eheschließung zu ermöglichen. Dies wäre nachzuholen. [...]