Aufenthaltsgestattung erlischt nicht mit vollziehbarer Abschiebungsanordnung:
Die nationale Bestimmung des § 67 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, wonach eine Aufenthaltsgestattung mit der Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG erlischt, kollidiert mit Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU. Damit ist die Regelung des § 67 Abs. 1 Nr. 5 AsylG wegen des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs nicht anwendbar. Der Aufenthalt ist demnach auch nach Erlass eines Dublinbescheides und dessen Rechtskraft bis zum Ablauf der Überstellungsfrist und Übergang der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens gestattet.
(Leitsatz der Redaktion; die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen; siehe dazu auch: VG Hamburg, Beschluss vom 27.12.2024 - 5 E 3959/24 - asyl.net: M33030 und VG Halle, Beschluss vom 09.02.2023 - 1 A 316/22 HAL - asyl.net: M31333)
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15 Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklage zu Unrecht abgewiesen, denn der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c Abs. 1 AufenthG, weil er sich zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre ununterbrochen geduldet bzw. gestattet im Bundesgebiet aufgehalten hat. Die Ablehnung derselben durch den Beklagten ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]
17 Streitig ist von den tatbestandlichen Voraussetzungen allein, ob der Kläger die erforderliche Voraufenthaltszeit eines fünfjährigen, ununterbrochen geduldeten, gestatteten oder erlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet zum Stichtag 31. Oktober 2022 erfüllt. Konkret geht es um den Zeitraum vom 3. Juli 2017 bis zum 29. Januar 2018 (zumindest um den Zeitraum vom 6. November bis zum 5. Dezember 2017), in dem der Kläger nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, einer Duldungsbescheinigung oder einer Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung war.
18 Der Kläger konnte sich in diesem Zeitraum jedoch auf das unionsrechtliche Bleiberecht nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (künftig: Asylverfahrens-RL) berufen (1.1 ). Damit kollidiert die nationale Bestimmung des§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG, wonach die Aufenthaltsgestattung mit der Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG (also der Ziffer 3 des Dublin-Bescheids) erlischt. infolge dessen ist § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unanwendbar. In der Konsequenz dessen war der Aufenthalt des Klägers damit über den Zeitpunkt der Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung hinaus bis zum Ablauf der Überstellungsfrist und Übergang der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf Deutschland weiter gestattet (1.2). Die entsprechende Aufenthaltszeit ist als Voraufenthalt im Rahmen des § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzurechnen (1.3). Des Weiteren liegt kein atypischer Fall im Sinne des § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor, weshalb eine Verpflichtung des Beklagten lediglich zur Verbescheidung des klägerischen Antrags und Klageabweisung im Übrigen nicht in Betracht kommt (1.4). [...]
23 1.1.1 Die Asylverfahrens-RL findet grundsätzlich auch auf das Verfahren nach der Dublin-III-Verordnung Anwendung, weil in deren Erwägungsgrund 12 bestimmt ist, dass die Verfahrensregelungen der Asylverfahrens-RL "zusätzlich und unbeschadet" der Verfahrensgrundsätze der Verordnung, aber "vorbehaltlich der Beschränkungen ihrer Anwendung" anwendbar sind.
24 1.1.2 Gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Asylverfahrens-RL dürfen Antragsteller ausschließlich zum Zwecke des Verfahrens so lange im Mitgliedstaat verbleiben, bis die Asylbehörde auf der Grundlage der in Kapitel III der Asylverfahrens-RL genannten erstinstanzlichen Verfahren über den Antrag entschieden hat.
25 Die Begriffe "Antragsteller" und "Verbleib im Mitgliedstaat" sind in der AsylverfahrensRL definiert. "Antragsteller" ist ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch keine bestandskräftige Entscheidung ergangen ist (Art. 2 Buchst. c) der Asylverfahrens-RL). "Verbleib im Mitgliedstaat" ist der "Verbleib im Hoheitsgebiet ... des Mitgliedstaates, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde oder geprüft wird" (Art. 2 Buchst. p) der Asylverfahrens-RL).
26 Die im Rahmen des Begriffs "Antragsteller" genannte "bestandskräftige Entscheidung" ist nach Art. 2 Buchst. e) der Asylverfahrens-RL die "Entscheidung darüber, ob einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gemäß der Richtlinie 2011/95/EU die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, und gegen die kein Rechtsbehelf nach Kapitel V der vorliegenden Richtlinie mehr eingelegt werden kann, unabhängig davon, ob ein solcher Rechtsbehelf zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfe".
27 1.1.3 Aus diesen Begriffsbestimmungen ergibt sich zunächst einmal, dass das Recht auf Verbleib sowohl im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats besteht, in dem der Asylantrag geprüft wird, als auch im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem dieser Antrag gestellt wurde (s. Art. 2 Buchst. c) der Asylverfahrens-RL: "gestellt wurde oder überprüft wird" [...].
28 1.1.4 Weiter ergibt sich aus der Begriffsbestimmung des Art. 2 Buchst. e) der Asylverfahrens-RL, dass es sich bei dem Dublin-Bescheid nicht um eine bestandskräftige Entscheidung im Sinne der Asylverfahrens-RL handeln kann.
29 Art. 2 Buchst. e) der Asylverfahrens-RL bezieht sich offensichtlich nur auf Entscheidungen über die Begründetheit des Antrags auf internationalen Schutz. Bei unzulässigen Anträgen gemäß Art. 33 Abs. 1 und 2 der Asylverfahrens-RL müssen die Mitgliedstaaten "nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zuzuerkennen ist". Folglich erfasst der Begriff der "bestandskräftigen Entscheidung" nach Art. 2 Buchst. e) Asylverfahrens-RL nicht die Fälle der Ablehnung eines Antrags als unzulässig ohne Sachentscheidung, wenngleich diese nach deutschem Verwaltungsverfahrensrecht der Bestandskraft fähig sind. Des Weiteren stellt die Entscheidung, mit der sich ein Mitgliedstaat gern. der Dublin-III-Verordnung für unzuständig erklärt (d.h. im nationalen Recht die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Buchst. a) AsylG), keine Unzulässigkeitsentscheidung im Sinne des Art. 33 Abs. 1 Asylverfahrens-RL dar. Die Unzuständigkeit nach der Dublin-III-Verordnung bildet insoweit keinen Unterfall der Unzulässigkeit des Asylantrags im Sinne des Art. 33 Abs. 1 Asylverfahrens-RL Vielmehr kommt in der Regelung zum Ausdruck, dass die Unzuständigkeit des Mitgliedstaats neben den genannten Fällen der Unzulässigkeit eines Antrags einen weiteren Anwendungsfall darstellt, in welchem der Mitgliedstaat die Begründetheit des Antrags nicht prüfen muss.
30 1.1.5 Des Weiteren handelt es sich bei der Überstellungsentscheidung, mithin der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, nicht um eine "erstinstanzliche Entscheidung", mit der das Bleiberecht gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL endet. Es handelt sich bei dem Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach Art. 20 ff. Dublin-III-Verordnung nicht um eines der im Kapitel III der Asylverfahrens-RL geregelten "erstinstanzlichen Verfahren". Folglich ergeht eine Entscheidung über die Unzuständigkeit des Mitgliedstaates, in dem sich der Antragsteller aufhält, und ihr folgend eine Überstellungsentscheidung nach der Dublin-III-Verordnung nicht auf der Grundlage eines "erstinstanzlichen Verfahrens" nach Kapitel III und beendet daher nicht das Bleiberecht nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL.
31 1.1.6 Die Abschiebungsanordnung als Überstellungsentscheidung im Sinne der Dublin-III-Verordnung ist auch keine Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4, Art. 6 Rückführungs-RL, mit der die Illegalität des Aufenthaltes festgestellt wird, weshalb diese Richtlinie nicht auf Dublin-Fälle anwendbar ist [...]. Dies folgt aus der Begriffsdefinition der "Rückkehr" in Art. 3 Nr. 3 Rückführungs-RL, wobei es sich um die "Rückreise [freiwillig oder erzwungen] in das Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird" handelt [...].
32 1.1.7 Auch aus der Regelung des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c) Dublin-III-Verordnung ergibt sich nicht, dass das Bleiberecht gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL mit der Vollziehbarkeit der Überstellungsentscheidung endet. Der Bundesgesetzgeber hat mit § 34a Abs. 2 i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Regelungsoption nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. c) Dublin-III-Verordnung gewählt (vgl. zu den optionalen Regelungsmodellen des Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-Verordnung: Bender/Bethke/Dorn in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 67 AsylG Rn. 85). Art. 27 Abs. 3 Buchst. c) Dublin-III-Verordnung schützt den jeweiligen Antragsteller aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes lediglich temporär vor einem Vollzug der Überstellungsentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf auf Aussetzung derselben und macht die aufschiebende Wirkung vom Erlass einer gerichtlichen Entscheidung über einen entsprechenden Antrag der betroffenen Person abhängig [...]. Bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs hat der Antragsteller das Recht, im Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats (bzw. des Aufnahmestaats) zu bleiben, es handelt sich damit um eine "automatische" Aussetzung der Überstellung [...]. Dem trägt der Bundesgesetzgeber mit dem gesetzlichen (temporären) verfahrenssichernden Überstellungsverbot gemäß § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG Rechnung [...].
34 Dieses Verständnis der Asylverfahrens-RL deckt sich auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der in den Verfahren Cimade und GISTI sowie KS und MHK entschieden hat, dass erst die tatsächliche Überstellung des Antragstellers durch den ersuchenden Mitgliedstaat dessen Zuständigkeit für die Gewährung der Mindestaufnahmebedingungen nach der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (künftig: Aufnahme-RL) beendet [...].
35 Diese Rechtsprechung ist in dem Zusammenspiel des Asylpakets II, bestehend aus Asylverfahrens-RL, Aufnahme-RL und Dublin-III-Verordnung zu verstehen. Die Mindestaufnahmebedingungen der Aufnahme-RL setzen nach deren Art. 3 Abs. 1 voraus, dass der Antragsteller ein Recht auf Verbleib hat. Das setzt denknotwendig den Fortbestand der Berechtigung zum Verbleib auch nach der Vollziehbarkeit des Dublin-Bescheids voraus. Auch der Antragstellerbegriff der Aufnahme-RL ist davon bestimmt, dass über den Antrag auf internationalen Schutz noch nicht endgültig entschieden worden ist (vgl. Art. 2 Buchst. b) der Aufnahme-RL), was nach den vorstehenden Ausführungen nicht der Fall ist. [...]
38 1.1.9 Das dem Kläger gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL während der Überstellungsfrist zustehende Bleiberecht dient der verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung ("non-refoulement"), wonach kein Antragsteller dorthin zurückgeschickt werden darf, wo er der Verfolgung bzw. unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt ist (vgl. Art. 18, Art. 19 Abs. 2 GR-Charta i.V.m. Art. 33 des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 i.d.F. des Protokolls vom 31.1.1967).
39 Nach Art. 6 Abs. 1 Aufnahme-RL bestätigt der Mitgliedstaat, in dem sich der jeweilige Antragsteller aufhält, die Berechtigung zum Empfang der entsprechenden Leistungen im Rahmen der unionsrechtlichen Mindestaufnahmebedingungen durch eine dem Ausländer auszuhändigende Bescheinigung, welche die Antragstellereigenschaft dokumentiert. Diese Bestimmung dient dem Zweck, den rechtlichen Status des Ausländers zu klären und sicherzustellen, dass dieser Zugang zu den in der Aufnahme-RL vorgesehenen Rechten und Garantien erhält, wie etwa Unterkunft, medizinische Versorgung oder andere materielle Leistungen [...] und dient daher in erster Linie dem Nachweis der Berechtigung zum Empfang der unionsrechtlichen Mindestaufnahmebedingungen. Aus dem Zusammenspiel des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL und des Art. 6 Abs. 1 Aufnahme-RL ergibt sich ein materiell-rechtlicher Gehalt des unionsrechtlichen Bleiberechts. Die Bleibeberechtigung gern. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL endet mit der Entscheidung in einem erstinstanzlichen Verfahren nach Kapitel III der Asylverfahrens-RL, wodurch der Aufenthalt illegal wird [...].
40 1.2 Die unter 1.1. beschriebene Kollision von nationalem Recht mit Unionsrecht ist nach den Grundsätzen zum Anwendungsvorrang des Unionsrechts aufzulösen. Bei einem Konflikt zwischen dem Unionsrecht und dem nationalen Recht ist es Sache des nationalen Gerichts, das innerstaatliche Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen und anzuwenden; soweit eine solche unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, darf es entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden [...].
41 Der Senat vermag die infolge der Regelung des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG unionsrechtlich bestehende Regelungslücke nicht auszufüllen. Diese Entscheidung ist zuvörderst dem Gesetzgeber vorbehalten [...]. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL ist hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt und entfaltet daher seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist gern. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrens-RL am 20. Juli 2015 unmittelbare Wirkung [...]. Der Richtlinienvorschrift kommt somit Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht zu [...]. Demzufolge ist § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG bis zu einer Regelung durch den Gesetzgeber nicht anwendbar [...].
42 Dem Bundesgesetzgeber steht es frei, der Dokumentationspflicht nach Art. 6 der Aufnahme-RL (siehe 1.1.9) durch ein anderes Rechtsinstitut als eine Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylG Rechnung zu tragen [...] und zwischen den Zeiten vor und nach dem Dublin-Bescheid zu differenzieren bzw. zu entscheiden, welchen Voraufenthalt er im Rahmen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG, aber auch §§ 25a und 25b AufenthG berücksichtigen möchte. Es ist dem nationalen Gesetzgeber überlassen, an welchen Aufenthaltsstatus er welche Rechte koppelt.
43 Dem Unionsrecht kann kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 Aufnahme-RL zwingend durch eine Aufenthaltsgestattung nach den §§ 55 ff. AsylG Rechnung getragen werden muss. Die genannte Richtlinienvorschrift ist gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt dem nationalen Gesetzgeber aber die Wahl der Form und der Mittel. Eine unmittelbare Wirkung des Art. 6 Abs. 1 Aufnahme-RL scheidet deshalb aus [...]. Etwas Anderes folgt nicht aus Art. 6 Abs. 4 Aufnahme-RL, wonach die Mitgliedstaaten die Maßnahmen treffen, die erforderlich sind, um den Antragstellern das in Absatz 1 genannte Dokument auszustellen, das so lange gültig sein muss, wie ihnen der Aufenthalt im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gestattet ist. Mit "gestattet" kann nicht die in den §§ 55 ff. AsylG geregelte Aufenthaltsgestattung des nationalen Rechts angesprochen sein, sondern nur das unionsrechtliche Bleiberecht. Der Senat teilt deshalb nicht die Auffassung, dass nur eine Aufenthaltsgestattung den entsprechenden Zugang zu den Mindestaufnahmebedingungen gewährleistet [...]. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Aufnahme-RL lässt mehrere Möglichkeiten zu, um einem Antragsteller bis zu seiner Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat unionsrechtskonforme Aufnahmebedingungen zu gewähren. Es bleibt somit einer Gestaltungsentscheidung des nationalen Gesetzgebers überlassen, wie er das unionsrechtliche Bleiberecht zur Gewährleistung des Zugangs zu den unionsrechtlichen Aufnahmebedingungen innerhalb der Überstellungsfrist bzw. bis zu deren Ablauf im Einklang mit der Systematik des nationalen Rechts umsetzt. [...]
50 4. Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzlicher Klärungsbedarf besteht hinsichtlich der Rechtsfrage, ob das unionsrechtliche Bleiberecht einem Antragsteller auf internationalen Schutz nach dem Eintritt der Vollziehbarkeit einer Überstellungsentscheidung bis zum Zuständigkeitsübergang wegen Fristablaufs nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung einen im Rahmen der Stichtagsregelung nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG anrechnungsfähigen gestatteten, geduldeten oder erlaubten Voraufenthalt vermittelt. [...]