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BGH

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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 26.05.2025 - XIII ZB 12/25 - asyl.net: M33395
https://www.asyl.net/rsdb/m33395
Leitsatz:

Verstoß gegen Beschleunigungsgebot: 

Es verstößt gegen das Beschleunigungsgebot, wenn das Amtshilfeersuchen zur Passersatzpapierbeschaffung vom zuständigen Landesamt erst zwölf Wochen nach Erhalt des Amtshilfeersuchens und vier Monate nach Anordnung der Abschiebungshaft eingeleitet wird. Das Beschleunigungsgebot verlangt, dass die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt und die Abschiebung ohne Verzögerung betrieben wird. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dazu, dass die Haft nicht aufrechterhalten werden darf. 

(Leitsatz der Redaktion, Siehe dazu auch den Beschluss zur Aussetzung der Haft: BGH: Beschluss vom 10.04.2025 – XIII ZB 12/25 – asyl.net: M33238)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Dauer, Haftdauer, Beschleunigungsgebot, Passbeschaffung,
Normen: FamFG § 426 Abs. 2, FamFG § 417 Abs. 2
Auszüge:

[...]

7 [...] Die Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer ist daher mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, darzulegen. Dazu ist anzugeben, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen [...].

8 bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 6. November 2024 nicht gerecht. Die beteiligte Behörde hat darin lediglich mitgeteilt, der Betroffene solle per Einzelmaßnahme mit dem Flugzeug nach Vietnam abgeschoben werden. Da er keine Identitätsnachweise besitze, müsse ein Verfahren zur Passersatzbeschaffung durchgeführt werden. Dieses Verfahren dauere nach Auskunft des Bayerischen Landesamts für Asyl und Rückführungen (im Folgenden: Landesamt) mehrere Monate. Ein entsprechender Antrag auf Durchführung eines Passersatzverfahrens sei bereits vorbereitet und werde in Kürze an das Landesamt übermittelt. Erst nach Erhalt eines Heimreisedokuments könne der Schubantrag gestellt und die Rückführung vorbereitet werden. Erfahrungsgemäß erfolge die Abschiebung innerhalb von sechs Wochen ab Schubantrag. Zuzüglich einer Vorbereitungsdauer von einer Woche ab Mitteilung des Flugtermins könne somit erfahrungsgemäß eine Abschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer sichergestellt werden.

9 Auf Grundlage dieser - auch in der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Haftanordnungsverfahren nicht ergänzten - Angaben konnte das Haftgericht nicht abschätzen, welche Haftdauer für die Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Vietnam erforderlich sein würde, insbesondere nicht prüfen, ob innerhalb der beantragten sechs Monate die Abschiebung voraussichtlich durchführbar sein würde und ob der volle beantragte Haftzeitraum notwendig war. Zwar geben die Ausführungen der beteiligten Behörde hinreichenden Aufschluss darüber, mit welchem Zeitaufwand für die Organisation der Rückführung des Betroffenen ab dem Vorliegen von Passersatzpapieren zu rechnen ist. Die Angabe, das Verfahren zur Ausstellung eines Passersatzpapiers dauere mehrere Monate, ist aber zu pauschal, um die ungefähre Dauer der Passersatzpapierbeschaffung für den Betroffenen einzuschätzen, und bietet dem Gericht auch keine Ansatzpunkte für konkrete Nachfragen.

10 b) Auf eine etwaige Heilung der Mängel des Haftantrags kommt es im Streitfall nicht an. Denn der Vollzug der Haft erweist sich bereits seit einem früheren Zeitpunkt wegen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot als rechtswidrig.

11 aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Behörde die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird. Es schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde nicht aus, verlangt aber, dass sie die Abschiebung oder Überstellung ohne vermeidbare Verzögerung betreibt und alle notwendigen Anstrengungen unternimmt, damit der Vollzug der Haft auf einen möglichst kurzen Zeitraum beschränkt werden kann. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf [...]. Versäumnisse anderer am Verfahren beteiligter nationaler Behörden sind dabei der die Abschiebung betreibenden Behörde zuzurechnen [...].

12 bb) Die beteiligte Behörde hat in ihrem auf dem Auflagenbeschluss des Senats vom 8. April 2025 beruhenden Schreiben vom 10. April 2025 erklärt, sie habe das Verfahren für die Beschaffung von Passersatzpapieren am 17. Dezember 2024 sofort nach Erhalt der Passkopie von der tschechischen Botschaft begonnen. Die anschließenden Verfahrensschritte der Pass- oder Passersatzbeschaffung habe das Landesamt vorzunehmen. Dieses habe mitgeteilt, der Vorgang sei nach Eingang des Amtshilfeersuchens vom 23. Dezember 2024 aufgrund der Anzahl gleichzeitig eingegangener Amtshilfeanfragen und -ersuchen entsprechend priorisiert, das Verfahren sodann in die Sachbearbeitung aufgenommen und die Passersatzbeschaffung am 14. März 2025 über die Koordinierungsstelle eingeleitet worden. Weitere Angaben sind nicht erfolgt.

13 cc) Auf dieser im Rechtsbeschwerdeverfahren unstreitig gebliebenen und daher der rechtlichen Beurteilung durch den Senat zugrunde zu legenden Tatsachengrundlage [...] liegt im Streitfall ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor. Zwar ist es der beteiligten Behörde nicht anzulasten, dass sie, wie sich aus der beigezogenen Ausländerakte ergibt, nach der Inhaftierung des Betroffenen zwischen dem 7. November und dem 17. Dezember 2025 zunächst versucht hat, dessen Pass oder eine Kopie desselben über die tschechischen Behörden zu erlangen, um seine Identität sicherzustellen. Es ist jedoch keine Rechtfertigung dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass das Landesamt in der vorliegenden Haftsache die Passersatzbeschaffung erst am 14. März 2025 und damit nahezu zwölf Wochen nach Erhalt des Amtshilfeersuchens der beteiligten Behörde vom 23. Dezember 2024 eingeleitet hat. Ein so langes Zuwarten ist mit dem Beschleunigungsverbot unvereinbar. [...]