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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Urteil vom 18.08.2025 - 27 K 3863/22.A - asyl.net: M33679
https://www.asyl.net/rsdb/m33679
Leitsatz:

Keine Abschiebung ins Herkunftsland bei Anerkennung im EU-Mitgliedstaat: 

"1. Die Flüchtlingszuerkennung durch einen anderen europäischen Mitgliedstaat steht einer Abschiebungs­androhung in das Heimatland selbst dann entgegen, wenn der Betroffene wegen einer drohenden Art. 3 EMRK Verletzung nicht in diesen Mitgliedstaat abgeschoben werden kann.

2. Hat das Bundesamt in der Sache über einen Asylantrag entschieden, anststatt diesen gestützt auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abzulehnen, besteht kein Anspruch auf eine isolierte Aufhebung dieser Entscheidung."

(Amtliche Leitsätze; a.A.zu Leitsatz 1: VG Köln, Urteil vom 20.01.2025 - 27 K 6361/20.A - asyl.net: M33121; a.A. zu Leitsatz 2: Urteil vom 03.07.2025 – 4 K 2551/23.A – asyl.net: M33487)

Schlagwörter: internationaler Schutz in EU-Staat, Abschiebungsandrohung, Unzulässigkeit, Bindungswirkung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1 S. 2, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

3. Die Abschiebungsandrohung in den Irak und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind rechtswidrig.

Der Abschiebungsandrohung in den Irak steht nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Griechenland entgegen. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in sein Herkunftsland abgeschoben werden, wenn er außerhalb des Bundesgebiets als ausländischer Flüchtling nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt ist.

Hierfür kommt es nicht darauf an, ob eine Abschiebung des Klägers nach Griechenland möglich ist. Selbst wenn eine Abschiebung des Klägers nach Griechenland nicht möglich sein sollte, wenn dem Kläger dort als anerkannter Flüchtling eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK drohen sollte, wovon allerdings nach aktueller Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auszugehen sein dürfte [...], würde dies nichts an dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ändern.

Die gegenteilige Auffassung, die Vorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG sei in der beschriebenen Konstellation nicht anwendbar, findet keine Stütze im Gesetz. Für diese Auffassung wird angeführt, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG auf der Prämisse beruhe, dass der andere Mitgliedstaat weiterhin oder erneut der für den Flüchtling verantwortliche Mitgliedstaat sei und diesem in Ausübung seiner Verantwortung Schutz gewähre. Könne davon ausnahmsweise nicht ausgegangen werden, weil die Behandlung international Schutzberechtigter in dem anderen Mitgliedstaat ausnahmsweise nicht im Einklang mit der Grundrechte-Charta stehe, werde die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG durchbrochen. Damit sei es nicht vereinbar, § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG anzuwenden mit der Folge, dass die Bundesrepublik Deutschland zwar zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und zur materiellen Prüfung verpflichtet sei, aber in den Grenzen des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG trotzdem an die positive Entscheidung des anderen Mitgliedstaats gebunden sei [...].

Dies überzeugt nicht. Die genannten Entscheidungen beruhen auf der Annahme, den Vorschriften § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG liege ein gemeinsames System zu Grunde. Eine ausländische Flüchtlingsanerkennung solle nur dann zu einem Abschiebungsverbot führen, wenn der Begünstigte in den die Flüchtlingseigenschaft zuerkennenden Staat zurückgeführt werden kann. Hierfür finden sich in der Gesetzgebungsgeschichte des § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG und auch in der gesetzlichen Systematik indes keine Hinweise.

Der Bundesgesetzgeber hat das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (früher § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AuslG) lange vor der unionsrechtlichen Überformung des Asylrechts geschaffen. Hintergrund der Vorschrift war, dass vor der Schaffung der Vorschrift die Ausländerbehörde in eigener Verantwortung die materielle Frage zu entscheiden hatte, ob dem Ausländer in dem Herkunftsstaat politische Verfolgung droht. Dieser Rechtszustand wurde als unbefriedigend bewertet, weil neben dem Asylverfahren ein weiterer Verfahrensweg zur Feststellung politischer Verfolgung eröffnet wurde. Dadurch würden einerseits die Ausländerbehörden überfordert und andererseits sei die rechtliche Gleichbehandlung der Ausländer, die im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung suchen, nicht mehr gewährleistet [...].

Die Vorschrift wurde demnach nicht im Zusammenhang mit der Vorstellung, der Begünstigte könne ohnehin in den Staat abgeschoben werden, der die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, geschaffen. Sie diente vielmehr der Abgrenzung der Aufgaben- und Lastenverteilung von Bundesamt und Ausländerbehörde. Das Abschiebungsverbot im Fall einer ausländischen Anerkennung wurde in der Folge vom Gesetzgeber beibehalten, auch nach unionsrechtlicher Überformung des Asylrechts, insbesondere auch nach Schaffung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. dessen unionsrechtlicher Grundlage und nach der höchstrichterlichen Klärung, dass ein Asylantrag nicht als unzulässig abgelehnt werden darf, wenn dem Betroffenen in dem internationalen Schutz zuerkennenden Staat eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK, Art. 4 Grundrechte-Charta droht. Weder der unionsrechtliche noch der nationale Gesetzgeber hat diese Konstellation normativ bewältigt, bis heute wurde § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht an die höchstrichterliche Rechtsprechung angepasst. Dies steht der Auffassung, der Gesetzgeber habe ein System geschaffen, in dem § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in Zusammenhang stehen, entgegen. Mangels einer klaren Regelungsintention des Gesetzgebers lässt sich das nach dem Wortlaut der Vorschrift bestehende Abschiebungsverbot nicht überwinden, auch wenn die Schaffung einer entsprechenden Vorschrift nach Auffassung der Kammer im Einklang mit unionsrechtlichen Vorgaben möglich wäre. Diese Entscheidung ist aber dem parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten.

Steht demnach der Abschiebungsandrohung nationales Recht entgegen, kann offen bleiben, ob Unionsrecht der Abschiebung in das Herkunftsland im Fall einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung entgegensteht. Die Frage ist höchstrichterlich nicht geklärt, nach der Rechtsprechung der Kammer (im Fall der Zuerkennung subsidiären Schutzes) ist dies allerdings nicht der Fall sein [...].

4. Der Bescheid vom 25.5.2022 ist auch nicht auf Grund des Anfechtungsantrags isoliert aufzuheben.

Denn dem Kläger fehlt es insoweit an einer Beschwer. Dies gilt auch dann, wenn der Antrag vom Bundesamt wegen der Gewährung internationalen Schutzes nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig hätte abgelehnt werden können [...].

Zwar ist höchstrichterlich geklärt, dass die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zwingendes Recht sind und vor jeder stattgebenden Entscheidung vom Amts wegen zu prüfen sind [...].

Daraus folgt aber nicht, dass in dieser Konstellation der Betroffene nach der Ablehnung des Asylantrags durch das Bundesamt einen isolierten Anspruch auf Aufhebung dieser Entscheidung hat. Denn er wird durch die Ablehnung in der Sache statt der Ablehnung seines Antrags als unzulässig nicht beschwert. Eine solche Beschwer folgt insbesondere nicht daraus, dass jeder weitere Asylantrag wegen der Ablehnung in der Sache als Folgeantrag (§ 71 AsylG) eingestuft werden würde. Denn dadurch wird der Betroffene nicht belastet, weil eine materielle Prüfung des Asylantrags bereits stattgefunden hat. [...]