Lebensverhältnisse in Griechenland für Frauen mit Art. 3 EMRK unvereinbar:
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rückkehr gesunder junger Männer nach Griechenland kann voraussichtlich nicht auf Frauen übertragen werden. Frauen drohen Gefahren durch sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel. Sie sind im Hinblick auf soziale Netzwerke benachteiligt und bedürfen sicherer Sanitäreinrichtungen und Schlafstätten.
(Leitsätze der Redaktion, so auch: VG Aachen, Beschluss vom 09.10.2025 – 10 L 839/25.A – asyl.net: M33651 und VG Saarland, Beschluss vom 07.10.2025 – 3 L 1653/25 – asyl.net: M33663; a.A. VG Augsburg, Beschluss vom 07.10.2025 – Au 1 S 25.35775 – asyl.net: M33656)
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16 b) Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 17. September 2025 ist ernstlich zweifelhaft. [...]
18 bb) § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist im vorliegenden Fall jedoch voraussichtlich aus unionsrechtlichen Gründen nicht anwendbar.
19 (1) Unionsrecht steht der Anwendung von§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entgegen, wenn die Lebensverhältnisse, die den Betroffenen als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. [...]
23 (4) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Bundesverwaltungsgericht zuletzt entschieden, dass nichtvulnerablen männlichen Drittstaatsangehörigen, denen in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt worden ist, derzeit bei einer Rückkehr nach Griechenland keine mit Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK unvereinbaren Lebensbedingungen drohen [...]. Die Richtigkeit dieser Entscheidung ist in der Rechtsprechung mit nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Argumenten in Frage gestellt worden [...]. Dem muss an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden. Denn jedenfalls zu alleinstehenden Frauen hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. April 2025 keine Aussage getroffen und die Entscheidung kann auf diese Personengruppe voraussichtlich auch nicht übertragen werden [...]. Denn jedenfalls unter den Lebensumständen, die als international schutzberechtigt anerkannte Frauen bei einer Rückkehr nach Griechenland zu gewärtigen haben, bestehen für sie im Vergleich zu jungen, nicht vulnerablen Männern andere Gefährdungen (insbesondere durch sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel) bzw. Benachteiligungen (insbesondere mit Blick auf soziale Netzwerke); sie haben andere Bedürfnisse (insbesondere sichere Sanitäreinrichtungen und Schlafstätten) und - bei typisierender Betrachtung - andere Eigenschaften (insbesondere körperlicher Art). So hat etwa das VG Wiesbaden in dem Urteil vom 4. Juli 2025 - 7 K 754/23.WI.A - juris Rn. 156 ff. nachvollziehbar ausgeführt:
24 "Frauen sind jedenfalls in dem Umfeld, in das sie bei der Rückkehr gelangen, als vulnerabel anzusehen. Die Zahl männlicher Flüchtlinge ist deutlich höher als weiblicher - zumal unbegleiteter weiblicher - Flüchtlinge. Es liegt auf der Hand und entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Lebensumstände auf der Straße überaus rau sind. Der Mangel an Struktur, sozialer Kontrolle und Verantwortlichkeit sowie an Perspektiven im Umfeld obdachloser, männlicher Flüchtlinge lässt erwarten, dass das Recht des Stärkeren gilt. Die hierdurch für eine junge, unbegleitete Frau entstehenden Gefahren liegen auf der Hand.
25 Es ist nicht erkennbar, dass Frauen in gleichem Umfang Zugang zu sozialen Netzwerken haben wie Männer. Eine Gleichordnung von Frauen in den überwiegend durch muslimische Männer geprägten Netzwerken ist nicht zu erwarten. Besondere Vorkehrungen seitens des griechischen Staates sind nicht erkennbar. Es ist nicht davon auszugehen, dass Frauen in Obdachlosenunterkünften von den Männern separierte Unterbringungsmöglichkeiten eingeräumt werden, sodass sie dort vor Übergriffen sicher ist und dass sie aus dieser Lage heraus imstande sind, sich eine Erwerbsmöglichkeit zu verschaffen [...].
26 Frauen haben auch erhöhte hygienische Bedürfnisse. Es ist mindestens offen, ob diesen Bedürfnissen in Obdachlosenunterkünften immer Rechnung getragen werden kann.
27 Auch ist der Arbeitsmarkt Frauen nicht in gleicher Weise zugänglich. Insbesondere Branchen wie der Bausektor und Teile der Tourismus-Branche sind Frauen mit Blick auf die zu verrichtenden Tätigkeiten verschlossen, jedenfalls dort, wo schwere körperliche Arbeit zu leisten ist."
28 Das darf bei der Prüfung der Frage, ob nach Griechenland zurückkehrenden alleinstehenden Frauen, denen dort internationaler Schutz zuerkannt worden ist, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC widersprechende Behandlung droht, nicht außer Acht gelassen werden. Der erkennende Einzelrichter schließt sich vor diesem Hintergrund vorbehaltlich einer vertieften Prüfung im Hauptsacheverfahren der mehr als nur vereinzelt vertretenen Auffassung an, wonach die Lebensverhältnisse, die eine alleinstehende, in Griechenland als international schutzberechtigt anerkannte Frau bei einer Rückkehr dorthin zu erwarten hätte, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC unvereinbar sind). [...]