Am 4. März 2022 trat ein Beschluss der EU-Staaten („Durchführungsbeschluss 2022/382 des Rates“; https://t1p.de/23c51) in Kraft, demzufolge Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten müssen, ein Schutzstatus durch die EU-Mitgliedsstaaten gewährt wird. Dieser „vorübergehende Schutz“ basiert auf der EU-Richtlinie 2001/55/EG (https://t1p.de/8xci) und ist zuvor noch nie zur Anwendung gekommen. Erfasst sind neben Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit auch nicht-ukrainische Staatsangehörige, die sich zu Beginn des Kriegs in der Ukraine aufgehalten haben – allerdings greift der Schutz für diese nur unter bestimmten Voraussetzungen. Diese sind nicht immer einfach zu prüfen, und daher gibt es erhebliche Unsicherheiten, wer den vorübergehenden Schutz in Deutschland erhalten kann. So ist die Aufenthaltsperspektive von Menschen, die als ausländische Studierende zuvor in der Ukraine gelebt hatten, vielfach ebenso unklar wie die von Familienangehörigen ukrainischer Staatsbürger*innen. Bei anderen Menschen entstehen Probleme dadurch, dass sie keinen Nachweis über den Status erbringen können, mit dem sie zuletzt in der Ukraine gelebt haben. Aus der Praxis wird darüber hinaus zum Teil von erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Diskriminierungen nicht-ukrainischer Staatsangehöriger berichtet – vielfach sind Rom*nja davon betroffen.
Mithilfe der nachfolgenden Fragen und Antworten werden die aktuell geltenden Regelungen für Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, dargestellt. Daneben sollen auch Alternativen zum vorübergehenden Schutzstatus aufgezeigt werden.
Autor: Claudius Voigt, GGUA Flüchtlingshilfe Münster
Stand: 20.4.2022
Die Einreise und der Aufenthalt von Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland einreisen, sind bis zum 31. August 2022 grundsätzlich ohne Visum rechtmäßig. Dies gilt sowohl für ukrainische Staatsangehörige, als auch für Menschen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit. Grundlage hierfür ist die „Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung“ (https://t1p.de/uyozd), die ursprünglich bis zum 23. Mai 2022 galt und bis Ende August 2022 verlängert wird (https://t1p.de/sxgym). Nach § 2 dieser Verordnung gilt bis zum 31. August 2022 eine Befreiung von der Visumpflicht für folgende Gruppen:
Bis zum 31. August 2022 ist nicht nur die Einreise, sondern auch der Aufenthalt der unter 1. genannten Personengruppen in Deutschland ohne Besitz eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig. Daher ist auch für von der Regelung umfasste Personen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit bis zu diesem Datum die Erteilung einer Duldung oder einer Grenzübertrittsbescheinigung weder erforderlich noch zulässig. Die Einreise und der Aufenthalt gelten auch dann als rechtmäßig, wenn die Personen nicht im Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes sind (Schreiben des BMI vom 18. März 2022, https://t1p.de/c9q3), solange die Passbeschaffung unzumutbar ist. Allerdings müssen „Bezüge zur Ukraine (…) glaubhaft dargelegt werden“. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist für den erlaubten Aufenthalt keine Voraussetzung.
Da sowohl die Einreise als auch der Aufenthalt bis zum 31. August 2022 rechtmäßig sind, darf die Ausländerbehörde auch bei Drittstaatsangehörigen einen vorhandenen Pass nicht ohne besonderen Grund (z.B. bei konkretem Verdacht auf Fälschung) einbehalten (vgl. § 48 Abs. 1 AufenthG), wie dies nach Medienberichten vorgekommen ist (https://t1p.de/b65i). Das Einbehalten des Passes ist nämlich nur zulässig, wenn dies für die „Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen“ erforderlich wäre. Das ist in aller Regel aber nicht der Fall, da der Aufenthalt per se rechtmäßig ist und somit auch keine „Maßnahmen“ anstehen. Auch das BMI teilt diese Rechtsauffassung: „Es besteht keine Veranlassung Pässe einzubehalten.“ (https://t1p.de/1k0cv, S. 4)
Während des visumfreien Aufenthalts ist eine Erwerbstätigkeit zunächst nicht erlaubt. Sie kann gemäß § 4a Abs. 4 AufenthG auf Antrag bei der Ausländerbehörde erlaubt werden. Hierfür dürften aber nur in sehr wenigen Fällen die Voraussetzungen erfüllt sein (z.B. für Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss, für Ausbildung, Freiwilligendienste oder bestimmte Praktika). Anders stellt sich die Situation dar, wenn bereits der vorübergehende Schutz beantragt worden ist: Bei Antragstellung ist eine sogenannte Fiktionsbescheinigung auszugeben, mit der die Erwerbstätigkeit bereits im Vorgriff auf die formale Erteilung des Schutzstatus als erlaubt gilt.
Spätestens bis zum 31. August 2022 sollte die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt werden. Die daraus folgende Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG lässt den Aufenthalt auch über den 31. August 2022 hinaus als rechtmäßig gelten, bis die Ausländerbehörde über diesen Antrag entschieden hat.
Nach § 3 der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung können die genannten Gruppen bis zum 31. August 2022 einen längerfristigen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet beantragen, ohne ein Visumverfahren zu durchlaufen. Es wird dabei nicht wie sonst regelmäßig geprüft, ob es zumutbar ist, das Visumverfahren aus einem anderen Staat (z.B. dem ursprünglichen Herkunftsstaat) nachzuholen. Dies kann insbesondere wichtig sein für nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige und auch für Ukrainer*innen, die in Deutschland z.B. die regulären Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus familiären Gründen, als Fachkraft, für das berufliche Anerkennungsverfahren, für eine Ausbildung oder für das Studium erfüllen. Auch nach dem 31. August 2022 ist es nach Auffassung des BMI „regelmäßig nicht zuzumuten, den Visumantrag bei einer deutschen Auslandsvertretung in der Ukraine einzureichen“ (BMI, Schreiben vom 14. April 2022, S. 13, https://t1p.de/tycp9).
Der Beschluss der EU vom 4. März 2022 über den vorübergehenden Schutz umfasst nach Art. 2 Abs. 1 folgenden Personenkreis:
Darüber hinaus werden in Art. 2 Abs. 2 des Ratsbeschlusses die Mitgliedstaaten verpflichtet, auch anderen Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die sich vor dem 24. Februar mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine aufgehalten haben, den vorübergehenden Schutz oder einen anderen nationalen Schutzstatus zu erteilen, sofern diese Personen nicht in ihre Herkunftsländer oder Herkunftsregionen „sicher und dauerhaft“ zurückkehren können.
Der Ratsbeschluss stellt es außerdem in das Ermessen der Mitgliedstaaten, auch anderen Personen vorübergehenden Schutz zu gewähren, insbesondere Drittstaatsangehörigen, die sich mit einem befristeten Status in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Auch für ukrainische Staatsangehörige, die „nicht lange“ vor dem 24. Februar 2022 bereits in der EU waren, sieht der Ratsbeschluss die Möglichkeit des vorübergehenden Schutzes vor.
Der Schutzanspruch ist nicht davon abhängig, wann die Einreise ab dem 24. Februar 2022 erfolgt ist oder noch erfolgen wird.
Da der EU-Ratsbeschluss einige Fragen bezüglich des begünstigten Personenkreises – insbesondere zu den Menschen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit – offengelassen hat, musste die Umsetzung durch die Bundesregierung konkretisiert werden. Dies hat die Bundesregierung in zwei Rundschreiben vom 14. März 2022 (https://t1p.de/amy3o) und vom 14. April 2022 (https://t1p.de/tycp9) getan.
Danach erhalten neben den ohnehin erfassten ukrainischen Staatsangehörigen folgende Personen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit den vorübergehenden Schutz, und zwar ohne eine Prüfung der Möglichkeit der Rückkehr ins ursprüngliche Herkunftsland:
Unter „Familienangehörige“ sind hierbei zu verstehen:
Die Definition dieser erweiterten Familie inkl. der nicht-verheirateten Partner*innen orientiert sich hierbei in Anlehnung an Art. 2 Nr. 2 und Art. 3 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38/EG) sowie an § 1 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU. Zur Auslegung der jeweiligen Begriffe können hilfreich sein die „Anwendungshinweise des BMI zur Umsetzung des Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften an das Unionsrecht“ vom 22.1.2021 (https://t1p.de/ed2sn).
Die Familienangehörigen sind auch dann einbezogen, wenn sie als Drittstaatsangehörige ohne die*den ukrainische*n „Stammberechtigte*n“ nach Deutschland einreisen, z. B., weil der ukrainische Ehemann nicht ausreisen durfte.
„Diese (…) Familienangehörigen erhalten eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG aus eigener Berechtigung aufgrund des Durchführungsbeschlusses; dabei müssen die unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Personen (Anmerkung: dies sind die ukrainischen „Stammberechtigten“) sich noch nicht im Bundesgebiet aufhalten.“ (Schreiben des BMI vom 14. April 2022, S. 2 und 3, https://t1p.de/tycp9)
Die Bundesregierung hat den vorübergehenden Schutz auf weitere Personen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit ausgeweitet. Allerdings ist in diesen Fällen als Voraussetzung zu prüfen, ob die Person „sicher und dauerhaft“ in das ursprüngliche Herkunftsland zurückkehren kann. Entgegen anderslautender Ankündigungen hat die Bundesregierung nicht umfassend von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemäß Art. 7 der Richtlinie 2001/55/EG bzw. Erwägungsgrund 14 des Durchführungsbeschlusses 2022/382 den vorübergehenden Schutz auch ohne diese Prüfung auf weitere Gruppen auszuweiten. Anders als von der Bundesregierung versprochen wurde, werden somit ukrainische und nicht-ukrainische Kriegsflüchtlinge rechtlich und tatsächlich keineswegs gleichbehandelt.
In Deutschland können den vorübergehenden Schutz mit Prüfung der Rückkehrmöglichkeit erhalten:
Personen, die „kurz vor“ bzw. „nicht lange“ vor dem 24. Februar schon z. B. als Tourist*innen in der EU waren (nach BMI-Auffassung soll darunter ein Zeitraum von höchstens 90 Tagen zu verstehen sein) können ebenfalls unter den oben genannten Bedingungen den vorübergehenden Schutz erhalten.
Auch Drittstaatsangehörige erfüllen unter bestimmten Bedingungen somit die Voraussetzungen für den vorübergehenden Schutz. Es empfiehlt sich also in den meisten Fällen, diesen geltend zu machen und einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG zu stellen. In diesem Fall muss die Ausländerbehörde umfassend prüfen, ob die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Ausländerbehörde muss einen solchen Antrag entgegennehmen, prüfen und begründet bescheiden. Sie darf nicht von vornherein die Entgegennahme und Prüfung verweigern.
Wenn der Anspruch auf vorübergehenden Schutz positiv festgestellt wird, erteilt die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Nach den Hinweisen des BMI ist der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG bei der örtlichen Ausländerbehörde zu stellen; die Aufenthaltserlaubnis wird nicht ohne Antrag erteilt.
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG wird gebührenfrei erteilt und gilt rückwirkend ab dem Datum der Einreise (frühestens ab dem 4. März 2022) und immer bis zum 4. März 2024. Für die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG sind der gesicherte Lebensunterhalt und die Erfüllung der Passpflicht keine Voraussetzungen (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). § 24 AufenthG ist eine Anspruchsnorm, sodass die Titelerteilungssperren des § 10 Abs. 1 und 3 z. B. wegen eines (früheren) erfolglosen Asylverfahrens nicht greifen.
Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis muss die Ausländerbehörde nach Antragstellung gebührenfrei eine sogenannte Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG ausstellen, mit der bereits eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit erteilt werden soll.
Für die meisten nicht-ukrainischen Staatsangehörigen mit einem befristeten Aufenthaltsstatus in der Ukraine wird die Prüfung der „Rückkehrmöglichkeit“ ins ursprüngliche Herkunftsland die zentrale Schwierigkeit darstellen. Nach Vorgaben der Bundesregierung können als Maßstab für diese Prüfung die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG herangezogen werden (drohende Verletzung von Menschenrechten nach der EMRK, erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit). Nach Auffassung des BMI besteht demnach für Menschen aus Afghanistan, Syrien und Eritrea grundsätzlich keine Rückkehrmöglichkeit (Schreiben des BMI vom 14. April 2022, S. 8, https://t1p.de/tycp9). In derart eindeutigen Fällen, in denen die Zuerkennung internationalen Schutzes wahrscheinlich ist, könnte aber auch ein (möglicherweise später zu stellender bzw. zusätzlicher) Asylantrag sinnvoll sein, da die Flüchtlingsanerkennung oder auch der subsidiäre Schutzstatus eine bessere Rechtsstellung mit sich bringen würden.
Die Europäische Kommission stellt in ihren „Operativen Leitlinien für die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses“ (https://t1p.de/0gf2, S. 4) zur Prüfung der Rückkehrmöglichkeit fest:
»In diesem Zusammenhang kann die unmögliche „sichere Rückkehr“ beispielsweise aus einem offensichtlichen Risiko für die Sicherheit der betroffenen Person, aus bewaffneten Konflikten oder dauernder Gewalt, dokumentierten Gefahren der Verfolgung oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung resultieren. Für eine „dauerhafte“ Rückkehr sollte die betreffende Person aktive Rechte in ihrem Herkunftsland oder ihrer Herkunftsregion in Anspruch nehmen können, damit sie Perspektiven für die Deckung ihrer Grundbedürfnisse in ihrem Herkunftsland/ihrer Herkunftsregion und die Möglichkeit der Reintegration in die Gesellschaft hat. Bei der Beurteilung, ob eine „sichere und dauerhafte“ Rückkehr möglich ist, sollten sich die Mitgliedstaaten auf die allgemeine Lage im Herkunftsland oder der Herkunftsregion stützen. Dennoch sollte betreffende Person individuelle Anscheinsbeweise dafür erbringen, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren kann.«
In vielen Fällen wird es auf den Einzelfall ankommen, der für die Ausländerbehörde schwierig zu prüfen sein wird. Relevant für die Prüfung können auch Kriterien unterhalb von Abschiebungsverboten sein (etwa wegen Schwangerschaft, Krankheit, familiäre Bindungen, fehlendes Existenzminimum, tatsächliche Unmöglichkeit einer Rückkehr bzw. Abschiebung wegen fehlender Reiseverbindungen), aber auch die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Rückkehr (etwa bei bevorstehender Aufnahme einer Arbeit als Fachkraft bzw. eines Studiums in Deutschland oder nach langer Abwesenheit aus dem ursprünglichen Herkunftsland). Das BMI weist ausdrücklich darauf hin, dass im Fall der begründeten Aussicht auf die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels die Prüfung der Rückkehrmöglichkeit „zurückzustellen“ sei (https://t1p.de/tycp9, S. 8).
Insbesondere für Familien mit minderjährigen Kindern und andere schutzbedürftige Personen dürfte für die Zuerkennung des vorübergehenden Schutzes in Deutschland ein erleichterter Maßstab gelten. Denn der Schutz des Kindeswohls muss dabei als ein zentrales Kriterium berücksichtigt werden. Die EU-Kommission schreibt dazu:
»Besondere Aufmerksamkeit sollte den besonderen Bedürfnissen von schutzbedürftigen Menschen und Kindern – insbesondere unbegleiteten Minderjährigen und Waisen – auf der Grundlage des Grundsatzes des Kindeswohls gewidmet werden.«
Solange die Prüfung läuft, besteht Anspruch auf eine Fiktionsbescheinigung mit Erwerbstätigkeitserlaubnis sowie auf Leistungen nach AsylbLG, und der rechtmäßige Aufenthalt besteht bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde fort. Es gilt insofern nichts anderes als für ukrainische Staatsangehörige.
Für die Prüfung ist die jeweilige Ausländerbehörde und nicht das BAMF zuständig. Allerdings kann das BAMF unter Umständen beteiligt werden (in Anlehnung an § 72 Abs. 2 AufenthG). Allerdings ist zu beachten, dass nach Auffassung des BMI ausnahmsweise „die betreffende Person dem Asylverfahren zuzuführen“ ist (https://t1p.de/tycp9, S. 9), wenn die geäußerten Belange zur Unmöglichkeit einer Rückkehr materiell einem Asylbegehren im Sinne des § 13 AsylG entsprechen. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Furcht vor politischer Verfolgung, vor Todesstrafe, Folter, unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung oder vor Bürgerkrieg geäußert wird. In diesem Fall ist das BAMF zuständig und es gelten die Regelungen des Asylverfahrens (mit Wohnpflicht in einer Aufnahmeeinrichtung, Aufenthaltsgestattung, Wartezeiten für den Arbeitsmarktzugang usw.).
Eine sehr hilfreiche Arbeitshilfe zum Anspruch auf vorübergehenden Schutz für nicht-ukrainische Staatsangehörige gibt es vom Flüchtlingsbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein: https://t1p.de/78vc.
Der vorübergehende Schutz entsteht aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben gleichsam automatisch, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Aus diesem materiellen Anspruch auf den vorübergehenden Schutz ergibt sich ebenfalls automatisch der rechtmäßige Aufenthalt. Die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG selbst hat demgegenüber nur „deklaratorische Bedeutung“ – so ähnlich wie die frühere Freizügigkeitsbescheinigung für Unionsbürger*innen. Das führt dazu, dass die Rechte, die sich aus dem vorübergehenden Schutz ergeben (z.B. auf Sozialleistungen und Zugang zur Erwerbstätigkeit) bereits vor der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gewährt werden müssen.
Bereits vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG besteht ab der Vorsprache beim Sozialamt ein Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG. Dies ist jedenfalls die Rechtsauffassung, die vom BMI sowie den Bundesländern vertreten wird und die mit zwei Argumentationslinien begründet wird: Zum einen soll bereits vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG und ohne Asylantrag ein Anspruch auf Leistungen nach AsylbLG nach § 1 Abs. 1 Nr. 3a AsylbLG bestehen („in analoger Anwendung“, weil mit der späteren Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG ein Anspruch bestehen wird). Zum anderen soll bereits das Nachsuchen um Unterkunft und Versorgung beim Sozialamt als „Schutzgesuch“ zu werten sein. Damit entstehe die Leistungsberechtigung, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1a AsylbLG bei „Asylgesuch“ eintritt. Die rechtliche Konstruktion, dass der Antrag auf Leistungen als „Schutzgesuch“ zu werten sei, ist allerdings ausdrücklich nicht mit einem Asylantrag gleichzusetzen – dies betont auch das BMI selbst mit seinem Hinweis, dass mit dem „Schutzgesuch“ kein Asylverfahren „eröffnet und durchgeführt“ werde.
Der Anspruch auf Leistungen beginnt, wenn eine hilfebedürftige Person sich „tatsächlich“ im Bundesgebiet aufhält und das Sozialamt gemäß § 6b AsylbLG „Kenntnis“ von ihrer Bedürftigkeit hat. Eine vorherige Registrierung, ID-Behandlung oder Meldung bei der Ausländerbehörde sind demnach keine gesetzliche Voraussetzung für den Beginn der Leistungen.
Schon während des Antragsverfahrens soll die Erwerbstätigkeit erlaubt werden (siehe BMI, Schreiben vom 14. April 2022, S. 14, https://t1p.de/tycp9), und auch die Möglichkeit zur Zulassung zum Integrationskurs besteht bereits (siehe FAQ des BAMF: https://t1p.de/p3ybs).
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG wird nach den Vorgaben des BMI immer bis zum 4. März 2024 erteilt. Nach diesem Datum wird sie um ein weiteres Jahr verlängert, wenn der Rat der EU bis dahin einen Beschluss zur Verlängerung des vorübergehenden Schutzes treffen sollte.
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG muss immer ohne die Voraussetzung eines gesicherten Lebensunterhalts und ohne auch ohne Erfüllung der Passpflicht erteilt werden (§ 5 Abs. 3 AufenthG).
Wenn die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG abgelehnt wird, besteht für alle aus der Ukraine geflüchteten Personen bis zum 31. August 2022 dennoch ein rechtmäßiger Aufenthalt. Es wäre unzulässig, wenn eine Ausländerbehörde die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis mit einer Ausreiseaufforderung oder gar einer Abschiebungsandrohung verknüpfen würde. Denn nach der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung besteht für alle Personen, die ab dem 24. Februar aus der Ukraine geflohen sind, der rechtmäßige Aufenthalt ohne Besitz eines Aufenthaltstitels.
Nach Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII statt nach dem AsylbLG oder SGB II. Innerhalb der ersten drei Monate des Aufenthalts dürften sich diese nach den Überbrückungs- und Härtefallleistungen gemäß § 23 Abs. 3 S. 4ff SGB XII richten, ab dem 4. Aufenthaltsmonat müssen reguläre Leistungen der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 1 SGB XII erbracht werden. Die Ausschlüsse des § 23 Abs. 2 bzw. Abs. 3 S. 1 SGB XII sind in diesen Fällen nicht anwendbar.
Eine Erwerbstätigkeit wird nach Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis nicht zulässig sein, diese müsste bei der Ausländerbehörde gemäß § 4a Abs. 4 AufenthG beantragt werden. Hierfür dürften aber nur in wenigen Fällen die Voraussetzungen erfüllt sein (z.B. für Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss, für Ausbildung, Freiwilligendienste oder bestimmte Praktika).
In Einzelfällen kann für nicht-ukrainische Staatsangehörige auch nach Ablehnung des § 24 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen in Frage kommen – etwa als Fachkraft mit in Deutschland anerkanntem Abschluss (§ 18a und 18b AufenthG), für die Ausbildung (§ 16a), für das Studium (§ 16b), für das berufliche Anerkennungsverfahren (§ 16d) oder für den Sprachkurs (§ 16f).
Hierfür müssen jedoch die üblichen Voraussetzungen für den jeweiligen Aufenthaltstitel erfüllt werden (u. a. Sicherung des Lebensunterhalts). Der frühere Antrag auf vorübergehenden Schutz sperrt nicht die Erteilung anderer Aufenthaltserlaubnisse.
Wenn die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG abgelehnt werden sollte oder wenn der Antrag gar nicht erst gestellt wurde, sollten Drittstaatsangehörige die Zeit bis zum 31. August 2022 nutzen, um die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltstitel zu erfüllen. Bis zum 31. August müssen auch Aufenthaltstitel für andere Zwecke erteilt werden, ohne dass dafür ein Visum beantragt werden müsste (§ 3 Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung), und auch nach diesem Datum ist von der Nachholung eines Visumverfahrens für Drittstaatsangehörige abzusehen (https://t1p.de/tycp9, S. 8). Dasselbe gilt, wenn noch während des Prüfverfahrens für den § 24 AufenthG die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltstitel erfüllt werden.
Fraglich ist, ob § 19f Abs. 1 Nr. 2 oder § 19f Abs. 2 Nr. 1 AufenthG in bestimmten Fällen den Wechsel in eine andere Aufenthaltserlaubnis sperren könnten. Hierzu gibt es noch einige Unklarheit. Unserer Ansicht nach stellt sich die Rechtslage folgendermaßen dar:
Die Hürden für die anderen Aufenthaltstitel sind jedoch hoch: Neben den jeweiligen spezifischen Voraussetzungen müssen dafür in der Regel der Lebensunterhalt gesichert und die Passpflicht erfüllt sein. Ausnahmen sind in atypischen Fällen möglich, werden aber erfahrungsgemäß selten gemacht. Informationen zu den erforderlichen Einkommen und zur Sicherung des Lebensunterhalts gibt es hier: https://t1p.de/2819.
In besonderen Einzelfällen können Aufenthaltserlaubnisse zur Familienzusammenführung infrage kommen. Daneben sind vor allem eine Reihe verschiedener Aufenthaltstitel zum Zwecke der Ausbildung, des Studiums oder der Erwerbstätigkeit zu nennen.
Falls bereits ein Berufsabschluss vorliegen sollte, empfiehlt es sich dringend, sich frühzeitig zu den Möglichkeiten der Anerkennung dieses Abschlusses zu informieren. Hierzu können die Beratungsstellen des IQ Netzwerks Informationen geben: https://www.netzwerk-iq.de/.
Im Folgenden werden diese Aufenthaltstitel mit den jeweils wichtigsten Voraussetzungen dargestellt:
Aufenthaltserlaubnis für die schulische oder betriebliche Berufsausbildung, Voraussetzungen:
Weitere Informationen gibt es auf der Seite „Make it in Germany“: https://t1p.de/8hkqy.
Aufenthaltserlaubnis für das Studium oder für studienvorbereitende Maßnahmen, Voraussetzungen:
Ausführliche Informationen gibt es in der Handreichung: „Aufenthalts- und Sozialrecht für internationale Studierende“ von Dorothee Frings: https://t1p.de/vmt2j
Aufenthaltserlaubnis für die Durchführung notwendiger Qualifizierungsmaßnahmen, die für die Feststellung der Gleichwertigkeit oder die Erteilung der Berufsausübungserlaubnis erforderlich sind; Voraussetzungen:
Voraussetzungen:
Voraussetzungen:
Für die Teilnahme an einem gesetzlich geregelten Freiwilligendienst (z. B. Bundesfreiwilligendienst, Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr) kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG erteilt werden, Voraussetzungen:
Auch für ein Au-Pair kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG für max. zwölf Monate erteilt werden, Voraussetzungen:
Informationen zu den Voraussetzungen für einen Aufenthalt als Au Pair gibt es von der Bundesagentur für Arbeit: https://t1p.de/o4dkj. Ein Muster für einen Au-Pair-Vertrag gibt es ebenfalls auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit: https://t1p.de/xzfg.
Aus einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG ist gemäß § 39 S. 1 Nr. 1 AufenthV grundsätzlich, auch ohne zwischenzeitliche Ausreise und Nachholung eines Visumverfahrens, der Wechsel in jede andere Aufenthaltserlaubnis möglich. Dies kann etwa von Bedeutung sein, wenn der vorübergehende Schutz nicht verlängert wird, oder auch vorzeitig, wenn die Voraussetzungen für eine „bessere“ Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind (etwa für einen Aufenthalt als Fachkraft gemäß § 18a oder § 18b Abs. 1 oder aus familiären Gründen gemäß § 30ff AufenthG).
Allerdings sieht § 19f Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vom Wortlaut her Sperren für bestimmte Aufenthaltstitel vor, wenn sich Personen „im Rahmen einer Regelung zum vorübergehenden Schutz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhalten“. Es handelt sich bei den „gesperrten“ Aufenthaltstiteln um die §§ 16b Abs. 1 und 5 (Studium), 16e (studienbezogenes Praktikum), 17 Abs. 2 (Studienbewerbung), 18b Abs. 2 (Blaue Karte-EU), 18d (Forschung und 19e (Europäischer Freiwilligendienst).
Demgegenüber bestehen nach Auffassung des BMI aus dem § 24 AufenthG ausdrücklich „keine Beschränkungen“ für den Wechsel in einen anderen Aufenthaltstitel (BMI, Schreiben vom 14. April 2022, S. 13, https://t1p.de/tycp9). Dieser Auffassung dürfte auch deshalb zu folgen sein, weil sich die Sperrwirkung des § 19f Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vom Sinn und Zweck her nur auf Personen beziehen dürfte, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat und nicht in Deutschland vorübergehenden Schutz genießen.
Der Wechsel auch in diese Aufenthaltstitel ist jedenfalls dann unstrittig möglich, wenn der vorübergehende Schutz ausläuft und nicht verlängert wird, oder wenn ausdrücklich der Verzicht auf den vorübergehenden Schutz erklärt wird. Der Vorteil der genannten Aufenthaltstitel gegenüber dem vorübergehenden Schutz kann im Einzelfall darin bestehen, dass bessere Möglichkeiten für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts und erweiterte Sozialleistungsansprüche bestehen können. Jedoch wird für die genannten Aufenthaltserlaubnisse im Gegensatz zum vorübergehenden Schutz die Sicherung des Lebensunterhalts vorausgesetzt.
Das BMI hat klargestellt, dass die Äußerung eine Schutzbegehrens für den vorübergehenden Schutz allein nicht zur Durchführung eines Asylverfahrens führt (BMI, Schreiben vom 14. April 2022, S. 17, https://t1p.de/tycp9). Hierfür ist ein förmlicher Asylantrag bei der zuständigen Außenstelle des BAMF erforderlich. Auch das Nachsuchen um Unterkunft, Verpflegung oder medizinische Versorgung beim Sozialamt führt somit nicht zu einem Asylverfahren.
Für den begünstigten Personenkreis des § 24 AufenthG ist zwar grundsätzlich jederzeit die Möglichkeit zur Asylantragstellung eröffnet. Auch die Beschränkung des § 13 Abs. 3 AsylG, nach der ein Asylantrag „unverzüglich“ gestellt werden muss, gilt in diesen Fällen nicht, da die Personen nicht unerlaubt eingereist sind. Mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG ruht jedoch nach § 32a Abs. 1 AsylG das Asylverfahren, eine weitere Prüfung des Asylantrags findet dann nicht statt. Damit gelten die Regelungen des AufenthG und nicht mehr des AsylG (z. B. bezogen auf Arbeitsmarktzugang, Wohnverpflichtung usw.). Wenn das Asylverfahren dennoch betrieben werden soll, muss dies laut BMI dem BAMF ausdrücklich „mitgeteilt“ werden (BMI, Schreiben vom 14. April 2022, S. 18, https://t1p.de/tycp9). Entgegen früherer Äußerungen des BMI darf hierfür wohl nicht mehr der Verzicht auf den vorübergehenden Schutz als Bedingung verlangt werden; die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG und das Asylverfahren dürften dann parallel laufen.
Gemäß § 32a Abs. 2 AsylG gilt ein ruhender Asylantrag als zurückgenommen, wenn Betroffene nicht innerhalb von einem Monat nach Ablauf des Titels nach § 24 AufenthG dem Bundesamt anzeigen, dass sie ihr Asylverfahren fortführen möchten (gesetzliche Rücknahmefiktion). Es ist fraglich ob diese Regelung mit EU-Recht vereinbar ist, da in Art 28 Abs. 1 Bst. a und b Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) in der Regel nur bei fehlender Mitwirkung oder Untertauchen von einer stillschweigenden Rücknahme oder dem Nichtbetreiben des Verfahrens ausgegangen werden kann.
Ein Asylantrag statt bzw. zusätzlich zu einem Antrag auf Zuerkennung des vorübergehenden Schutzes kann beispielsweise in den nachfolgend genannten Fällen sinnvoll sein:
Hierbei ist jedoch zu beachten, dass ein Asylverfahren negative Auswirkungen haben kann (Verpflichtung zum Leben in Erstaufnahmeeinrichtungen, lange Sperrfristen für die Arbeitserlaubnis, Sperrwirkungen des § 10 Abs. 1 und 3 AufenthG für die spätere Erteilung von Aufenthaltstiteln, unter Umständen kein Zugang zum Integrationskurs usw.). Eine individuelle Beratung durch spezialisierte Beratungsstellen und/oder durch fachkundige Anwält*innen ist daher von großer Bedeutung.