Am 4. März 2022 trat ein Beschluss der EU-Staaten („Durchführungsbeschluss 2022/382 des Rates“; https://t1p.de/23c51) in Kraft, demzufolge Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten müssen, ein Schutzstatus durch die EU-Mitgliedsstaaten gewährt wird. Dieser „vorübergehende Schutz“ basiert auf der EU-Richtlinie 2001/55/EG (https://t1p.de/8xci) und ist zuvor noch nie zur Anwendung gekommen. Erfasst sind neben Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit auch nicht-ukrainische Staatsangehörige, die sich zu Beginn des Kriegs in der Ukraine aufgehalten haben – allerdings greift der Schutz für diese nur unter bestimmten Voraussetzungen. Diese sind nicht immer einfach zu prüfen, und daher gibt es erhebliche Unsicherheiten, wer den vorübergehenden Schutz in Deutschland erhalten kann. So ist die Aufenthaltsperspektive von Menschen, die als ausländische Studierende zuvor in der Ukraine gelebt hatten, vielfach ebenso unklar wie die von Familienangehörigen ukrainischer Staatsbürger*innen. Bei anderen Menschen entstehen Probleme dadurch, dass sie keinen Nachweis über den Status erbringen können, mit dem sie zuletzt in der Ukraine gelebt haben. Aus der Praxis wird darüber hinaus zum Teil von erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Diskriminierungen nicht-ukrainischer Staatsangehöriger berichtet – vielfach sind Rom*nja davon betroffen.
Mithilfe der nachfolgenden Fragen und Antworten werden die aktuell geltenden Regelungen für Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, dargestellt. Daneben sollen auch Alternativen zum vorübergehenden Schutzstatus aufgezeigt werden.
Autor: Claudius Voigt, GGUA Flüchtlingshilfe Münster
Stand: 5.6.2023
Die Einreise und der Aufenthalt von Menschen, die bis zum 4. März 2024 aus der Ukraine nach Deutschland einreisen, sind für 90 Tageab der erstmaligen Einreise grundsätzlich ohne Visum rechtmäßig. Dies gilt sowohl für ukrainische Staatsangehörige, als auch für Menschen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit. Grundlage hierfür ist die „Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung" (UkraineAufenthÜV) (https://t1p.de/ifwvx), die nach aktuellem Stand bis zum 2. Juni 2024 gilt.
Nach § 2 UkraineAufenthÜV gilt eine Befreiung von der Visumpflicht für folgende Gruppen:
Achtung: Seit dem 1. September 2022 gelten folgende Einschränkungen:
Für alle Menschen, die am 24. Februar 2022 in der Ukraine gelebt haben (siehe unter 1.) und ab diesem Datum nach Deutschland eingereist sind oder bis zum 4. März 2024 noch einreisen werden, ist nicht nur die Einreise, sondern auch der Aufenthalt in Deutschland ohne Besitz eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig. Dies gilt für einen Zeitraum von 90 Tagen ab der ersten Einreise. Rechtgrundlage hierfür ist die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung (UkraineAufenthÜV) (https://t1p.de/ddre0):
Die Einreise und der Aufenthalt gelten auch dann als rechtmäßig, wenn die Personen nicht im Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes sind (Schreiben des BMI vom 18. März 2022, https://t1p.de/c9q3), solange die Passbeschaffung unzumutbar ist. Allerdings müssen „Bezüge zur Ukraine (…) glaubhaft dargelegt werden“. Die Sicherung des Lebensunterhalts ist für den erlaubten Aufenthalt keine Voraussetzung.
Da sowohl die Einreise als auch der Aufenthalt für 90 Tage rechtmäßig sind, darf die Ausländerbehörde auch bei Drittstaatsangehörigen einen vorhandenen Pass nicht ohne besonderen Grund (z.B. bei konkretem Verdacht auf Fälschung) einbehalten (vgl. § 48 Abs. 1 AufenthG), wie dies nach Medienberichten vorgekommen ist (https://t1p.de/b65i). Das Einbehalten des Passes ist nämlich nur zulässig, wenn dies für die „Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen“ erforderlich wäre. Das ist in aller Regel aber nicht der Fall, da der Aufenthalt per se rechtmäßig ist und somit auch keine „Maßnahmen“ anstehen. Auch das BMI teilt diese Rechtsauffassung: „Es besteht keine Veranlassung Pässe einzubehalten.“ (https://t1p.de/1k0cv, S. 4)
Während des visumfreien Aufenthalts ist eine Erwerbstätigkeit zunächst nicht erlaubt. Sie kann gemäß § 4a Abs. 4 AufenthG auf Antrag bei der Ausländerbehörde erlaubt werden. Hierfür dürften aber nur in sehr wenigen Fällen die Voraussetzungen erfüllt sein (z.B. für Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss, für Ausbildung, Freiwilligendienste oder bestimmte Praktika).
Vor Ablauf der 90 Tage ab Einreise sollte unbedingt die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt werden. Die daraus folgende Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG lässt den Aufenthalt auch über die 90 Tage hinaus hinaus als rechtmäßig gelten, bis die Ausländerbehörde über diesen Antrag entschieden hat. In diesen Fällen muss die Ausländerbehörde eine Fiktionsbescheinigung ausstellen - und zwar unabhängig von der Erfolgsaussicht der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 24 (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 9, 17, https://t1p.de/g8fun, so auch VGH Baden-Württemberg 11 S 1467/22, Beschluss vom 26. Oktober 2022, S. 19; https://t1p.de/pv5y).
Nach Auffassung des BMI ist bereits mit der Fiktionsbescheinigung eine Arbeitserlaubnis auszustellen (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 17; https://t1p.de/g8fun). Diese Frage ist jedoch umstritten: Der Verwaltungsreichtshof Baden-Württemberg hat entschieden, dass kein Anspruch auf Eintragung einer Beschäftigungserlaubnis in der Fiktionsbescheinigung bestehe (VGH Baden-Württemberg 11 S 1467/22, Beschluss vom 26. Oktober 2022, S. 9ff; https://t1p.de/pv5yq).
Nach § 3 der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung können die genannten Gruppen während des rechtmäßigen Aufenthalts einen längerfristigen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet beantragen, ohne ein Visumverfahren zu durchlaufen. Es wird dabei nicht wie sonst regelmäßig geprüft, ob es zumutbar ist, das Visumverfahren aus einem anderen Staat (z.B. dem ursprünglichen Herkunftsstaat) nachzuholen. Dies kann insbesondere wichtig sein für nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige und auch für Ukrainer*innen, die in Deutschland z.B. die regulären Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus familiären Gründen, als Fachkraft, für das berufliche Anerkennungsverfahren, für eine Ausbildung oder für das Studium erfüllen.
Aber auch dann, wenn man nicht (mehr) unter die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung fällt, ist nach Auffassung des BMI auf die Nachholung eines Visumverfahrens zu verzichten: "Bei nicht-ukrainischen Drittstaatsangehörigen, die keinen vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG erhalten, aber bei denen alternativalternative aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten bestehen, ist von der Nachholung des Visumverfahrens abzusehen (§ 5 Absatz 2 Satz 2, 2. Alternative AufenthG), soweit sie nicht bereits von § 3 i.V.m. § 2 Absatz 1 UkraineAufenthÜV erfasst sind." (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 9; https://t1p.de/g8fun)
Der Beschluss der EU vom 4. März 2022 über den vorübergehenden Schutz umfasst nach Art. 2 Abs. 1 folgenden Personenkreis:
Darüber hinaus werden in Art. 2 Abs. 2 des Ratsbeschlusses die Mitgliedstaaten verpflichtet, auch anderen Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen, die sich vor dem 24. Februar mit einem unbefristeten Aufenthaltstitel in der Ukraine aufgehalten haben, den vorübergehenden Schutz oder einen anderen nationalen Schutzstatus zu erteilen, sofern diese Personen nicht in ihre Herkunftsländer oder Herkunftsregionen „sicher und dauerhaft“ zurückkehren können.
Der Ratsbeschluss stellt es außerdem in das Ermessen der Mitgliedstaaten, auch anderen Personen vorübergehenden Schutz zu gewähren, insbesondere Drittstaatsangehörigen, die sich mit einem befristeten Status in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Auch für ukrainische Staatsangehörige, die „nicht lange“ vor dem 24. Februar 2022 bereits in der EU waren, sieht der Ratsbeschluss die Möglichkeit des vorübergehenden Schutzes vor.
Der Schutzanspruch ist nicht davon abhängig, wann die Einreise ab dem 24. Februar 2022 erfolgt ist oder noch erfolgen wird. Auch, wenn man zunächst in einem anderen EU-Staat gelebt hat und dort bereits einen vorübergehenden Schutz hat, kann man nach Deutschland umziehen und hier erneut den vorübergehenden Schutz beanspruchen (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 23; https://t1p.de/g8fun).
Da der EU-Ratsbeschluss einige Fragen bezüglich des begünstigten Personenkreises – insbesondere zu den Menschen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit – offengelassen hat, musste die Umsetzung durch die Bundesregierung konkretisiert werden. Dies hat die Bundesregierung in mehreren Rundschreiben vom 14. März 2022 (https://t1p.de/amy3o), vom 14. April 2022 (https://t1p.de/tycp9) und zuletzt vom 5. September 2022 (https://t1p.de/g8fun, Änderungen zur Vorgängerversion sind darin markiert) umgesetzt.
Danach erhalten neben den ohnehin erfassten ukrainischen Staatsangehörigen folgende Personen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit den vorübergehenden Schutz, und zwar ohne eine Prüfung der Möglichkeit der Rückkehr ins ursprüngliche Herkunftsland:
Unter „Familienangehörige“ sind hierbei zu verstehen:
Die Definition dieser erweiterten Familie inkl. der nicht-verheirateten Partner*innen orientiert sich hierbei in Anlehnung an Art. 2 Nr. 2 und Art. 3 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38/EG) sowie an § 1 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU. Zur Auslegung der jeweiligen Begriffe können hilfreich sein die „Anwendungshinweise des BMI zur Umsetzung des Gesetzes zur aktuellen Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften an das Unionsrecht“ vom 22. Januar 2021 (https://t1p.de/ed2sn).
Die Familienangehörigen sind auch dann einbezogen, wenn sie als Drittstaatsangehörige ohne die*den ukrainische*n „Stammberechtigte*n“ nach Deutschland einreisen, z. B., weil der ukrainische Ehemann nicht ausreisen durfte und aktuell noch in der Ukraine lebt.
„Diese (…) Familienangehörigen erhalten eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG aus eigener Berechtigung aufgrund des Durchführungsbeschlusses; dabei müssen die unter Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Personen (Anmerkung: dies sind die ukrainischen „Stammberechtigten“) sich noch nicht im Bundesgebiet aufhalten.“ (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 23; https://t1p.de/g8fun, S. 3).
Die Bundesregierung hat den vorübergehenden Schutz auf weitere Personen ohne ukrainische Staatsangehörigkeit ausgeweitet. Allerdings ist in diesen Fällen als Voraussetzung zu prüfen, ob die Person „sicher und dauerhaft“ in das ursprüngliche Herkunftsland zurückkehren kann. Entgegen anderslautender Ankündigungen hat die Bundesregierung nicht umfassend von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, gemäß Art. 7 der Richtlinie 2001/55/EG bzw. Erwägungsgrund 14 des Durchführungsbeschlusses 2022/382 den vorübergehenden Schutz auch ohne diese Prüfung auf weitere Gruppen auszuweiten. Anders als von der Bundesregierung versprochen wurde, werden somit ukrainische und nicht-ukrainische Kriegsflüchtlinge rechtlich und tatsächlich keineswegs gleichbehandelt. Es wäre dringend erforderlich, dass die Bundes- bzw. Landesregierungen hierzu weitergehende Regelungen erlassen um eine tatsächliche Gleichbehandlung zu gewährleisten.
In Deutschland können den vorübergehenden Schutz mit Prüfung der Rückkehrmöglichkeit erhalten:
Personen, die schon„kurz vor“ dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine geflohen sind bzw. die „nicht lange“ vor dem 24. Februar 2022 (z. B. als Tourist*innen oder für die Arbeit) schon nicht mehr in der Ukraine, sondern in der EU oder einem Drittstaat waren (nach BMI-Auffassung soll darunter ein Zeitraum von höchstens 90 Tagen zu verstehen sein) können ebenfalls unter den oben genannten Bedingungen den vorübergehenden Schutz erhalten (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 10; https://t1p.de/g8fun).
Personen, die die Staatsangehörigkeit eines EU-Staats haben (also Unionsbürger*innen sind), sind nach Auffassung des BMI vom vorübergehenden Schutz ausgeschlossen. Dies soll auch für doppelte Staatsangehörige gelten, die neben einer EU-Staatsangehörigkeit auch die ukrainische oder eine andere Staatsangehlrigkeit haben. Das BMI schreibt dazu:
"Der Durchführungsbeschluss erstreckt sich – wie auch bereits die Richtlinie – ausdrücklich nur auf „Drittstaatsangehörige“ und ukrainische Staatsangehörige beziehungsweise „Staatsangehörige anderer
Drittländer als der Ukraine“. Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sind also ausgeschlossen. Sie
werden auch nicht durch eine weitere Staatsangehörigkeit zu „Drittstaatsangehörigen“. Die Unionsbürgerschaft verdrängt praktisch innerhalb der EU als eigenes Bürgerrecht parallel bestehende andere Staatsangehörigkeiten." (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 2; https://t1p.de/g8fun).
Dieser vom BMI vertretene Ausschluss von Unionsbürger*'innen ist unserer Auffassung nach nicht haltbar. Denn aufgrund des Besserstellungsgebots aus § 11 Abs. 14 FreizügG müssen Unionsbürger*innen, die keinen "guten" Freizügigkeitsgrund ausüben (z. B. weil sie noch keine Arbeit gefunden haben oder gar erwerbsunfähig sind), ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erhalten können. Denn Unionsbürger*innen dürfen aufenthaltsrechtlich nicht schlechter gestellt werden als andere Drittstaatsangehörige. Insbesondere für den Anspruch auf Sozialleistungen ist es aber besser, die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG zu erhalten, als nur ein "schlechtes" Freizügigkeitsrecht (zur Arbeitsuche) zu haben. Dies muss von den Ausländerbehörden und den Sozialbehörden berücksichtigt werden!
Auch Drittstaatsangehörige erfüllen unter bestimmten Bedingungen also die Voraussetzungen für den vorübergehenden Schutz. Dies muss daher auch von den Ausländerbehörden einzelfallbezogen geprüft werden. Es empfiehlt sich also in den allermeisten Fällen, diesen geltend zu machen und einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG zu stellen. In diesem Fall muss die Ausländerbehörde umfassend prüfen, ob die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Ausländerbehörde muss einen solchen Antrag entgegennehmen, prüfen, vor einer beabsichtigten Ablehnung eine Anhörung durchführen und schließlich und begründet bescheiden. Sie darf nicht von vornherein die Entgegennahme und Prüfung verweigern (so ausdrücklich auch ein Erlass des niedersächsischen Innenministeriums vom 25. Mai 2022, https://t1p.de/y7cpc.) Auch das BMI schreibt dazu eindeutig: "Ein Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG ist also von der Ausländerbehörde stets einzuleiten. Eine vor der Einleitung des Verfahrens stattfindende Umdeutung eines gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG in einen Asylantrag durch die Ausländerbehörde ist unzulässig." (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 8; https://t1p.de/g8fun).
Wenn der Anspruch auf vorübergehenden Schutz positiv festgestellt wird, erteilt die Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Nach den Hinweisen des BMI ist der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG bei der örtlichen Ausländerbehörde zu stellen; die Aufenthaltserlaubnis wird nicht ohne Antrag erteilt. Ab dem 1. Juni 2022 darf die Aufenthaltserlaubnis für Personen ab 14 Jahre über nur noch nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung ausgestellt werden (§ 49 Abs. 4a AufenthG).
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG wird gebührenfrei erteilt und gilt rückwirkend ab dem Datum der Einreise (frühestens ab dem 4. März 2022) und immer bis zum 4. März 2024 (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 16; https://t1p.de/g8fun). Für die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG sind der gesicherte Lebensunterhalt und die Erfüllung der Passpflicht keine Voraussetzungen (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). § 24 AufenthG ist eine Anspruchsnorm, sodass die Titelerteilungssperren des § 10 Abs. 1 und 3 z. B. wegen eines (früheren) erfolglosen Asylverfahrens nicht greifen.
Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis muss die Ausländerbehörde nach Antragstellung gebührenfrei eine sogenannte Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG ausstellen, mit der bereits eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit erteilt werden soll. Ab dem 1. Juni 2022 darf die Fiktionsbescheinigung nach einem Antrag auf § 24 AufenthG nur noch nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung ausgestellt werden (§ 81 Abs. 7 AufenthG).
Es gibt Berichte aus der Praxis, dass manche Ausländerbehörden bei Drittstaatsangehörigen die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung verweigern, weil keine Aussicht auf Erfolg für die anschließende Aufenthaltserlaubnis bestehe. Dies ist rechtswidrig. Denn die Wirkung des rechtmäßigen Aufenthalts nach einer Antragstellung entsteht per Gesetz automatisch (§ 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG), und darüber muss eine Bescheinigung ausgestellt werden (§ 81 Abs. 5 AufenthG). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in mehreren Entscheidungen bestätigt, dass dies auch für Drittstaatsangehörige aus der Ukraine und unabhängig von der Aussicht auf Erfolg gilt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2022 - 11 S 1467/22, https://t1p.de/pv5yq (S. 19), sowie https://t1p.de/swf70 und https://t1p.de/1w1wb, hier eine Meldung des Flüchtlingsrats dazu: https://t1p.de/exsko).
Für die meisten nicht-ukrainischen Staatsangehörigen mit einem befristeten Aufenthaltsstatus in der Ukraine wird die Prüfung der „Rückkehrmöglichkeit“ ins ursprüngliche Herkunftsland die zentrale Schwierigkeit darstellen. Nach Vorgaben der Bundesregierung können als Maßstab für diese Prüfung die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bzw. die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung herangezogen werden. Dies bedeutet, dass unter anderem folgende Aspekte geltend gemacht werden können:
Nach Auffassung des BMI besteht demnach für Menschen aus Afghanistan, Syrien und Eritrea grundsätzlich keine Rückkehrmöglichkeit (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 9; https://t1p.de/g8fun). Dies dürfte nunmehr auch für Iran gelten. Das zuständige Ministerium in NRW hat am 13. Januar 2023 per Erlass angeordnet, dass auch aus der Ukraine geflüchtete iranische Staatsangehörige den vorübergehenden Schutz erhalten sollen. In eindeutigen Fällen, in denen die Zuerkennung internationalen Schutzes wahrscheinlich ist, könnte aber auch ein (möglicherweise später zu stellender bzw. zusätzlicher) Asylantrag sinnvoll sein, da die Flüchtlingsanerkennung oder auch der subsidiäre Schutzstatus eine bessere Rechtsstellung mit sich bringen würden.
Die Europäische Kommission stellt in ihren „Operativen Leitlinien für die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses“ (https://t1p.de/0gf2, S. 4) zur Prüfung der Rückkehrmöglichkeit fest:
»In diesem Zusammenhang kann die unmögliche „sichere Rückkehr“ beispielsweise aus einem offensichtlichen Risiko für die Sicherheit der betroffenen Person, aus bewaffneten Konflikten oder dauernder Gewalt, dokumentierten Gefahren der Verfolgung oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung resultieren. Für eine „dauerhafte“ Rückkehr sollte die betreffende Person aktive Rechte in ihrem Herkunftsland oder ihrer Herkunftsregion in Anspruch nehmen können, damit sie Perspektiven für die Deckung ihrer Grundbedürfnisse in ihrem Herkunftsland/ihrer Herkunftsregion und die Möglichkeit der Reintegration in die Gesellschaft hat. Bei der Beurteilung, ob eine „sichere und dauerhafte“ Rückkehr möglich ist, sollten sich die Mitgliedstaaten auf die allgemeine Lage im Herkunftsland oder der Herkunftsregion stützen. Dennoch sollte betreffende Person individuelle Anscheinsbeweise dafür erbringen, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren kann.«
In vielen Fällen wird es auf den Einzelfall ankommen, der für die Ausländerbehörde schwierig zu prüfen sein wird. Relevant für die Prüfung können auch Kriterien unterhalb von Abschiebungsverboten sein (etwa wegen Schwangerschaft, Krankheit, familiäre Bindungen, fehlendes Existenzminimum, tatsächliche Unmöglichkeit einer Rückkehr bzw. Abschiebung wegen fehlender Reiseverbindungen), aber auch die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Rückkehr (etwa bei bevorstehender Aufnahme einer Arbeit als Fachkraft bzw. eines Studiums in Deutschland oder nach langer Abwesenheit aus dem ursprünglichen Herkunftsland).
Das BMI weist ausdrücklich darauf hin, dass im Fall der begründeten Aussicht auf die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels die Prüfung der Rückkehrmöglichkeit „zurückzustellen“ sei (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 9; https://t1p.de/g8fun) und somit eine längerfristige Fiktionsbescheinigung ausgestellt werden kann. Einige Bundesländer und einzelne Ausländer*innenbehörden (z. B. Berlin, https://t1p.de/crw8u, Hamburg, Bremen, NRW, https://t1p.de/olg18 und Niedersachsen, https://t1p.de/zav2e) nutzen diese Möglichkeit auf dem Erlasswege, um Zeit für die Entwicklung aufenthaltsrechtlicher Perspektiven zu schaffen.
Insbesondere für Familien mit minderjährigen Kindern und andere schutzbedürftige Personen dürfte für die Zuerkennung des vorübergehenden Schutzes in Deutschland ein erleichterter Maßstab gelten. Denn der Schutz des Kindeswohls muss dabei als ein zentrales Kriterium berücksichtigt werden. Die EU-Kommission schreibt dazu:
»Besondere Aufmerksamkeit sollte den besonderen Bedürfnissen von schutzbedürftigen Menschen und Kindern – insbesondere unbegleiteten Minderjährigen und Waisen – auf der Grundlage des Grundsatzes des Kindeswohls gewidmet werden.«
Solange die Prüfung läuft, besteht nach Anspruch auf eine Fiktionsbescheinigung und der rechtmäßige Aufenthalt besteht bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde fort. Nach Auffassung des BMI soll in die Fiktionebsecheinigung auch eine Erwerbstätigkeitserlaubnis eingetragen werden (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 17; https://t1p.de/g8fun). Diese Frage ist jedoch umstritten und wird zum Teil auch anders gesehen (z. B. VGH Baden-Württemberg 11 S 1467/22, Beschluss vom 26. Oktober 2022, S. 9ff; https://t1p.de/pv5yq).
Vor Erteilung der Fiktionsbescheinigung besteht nach Auffassung des BMI Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 13; https://t1p.de/g8fun). Nach Auffassung des Landessozialgerichts Hessen besteht dementgegen ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII (LSG Hessen, Beschluss vom 29. Juli 2022, L 4 SO 124/22 B ER, https://t1p.de/qjjel). Ab Erteilung der Fiktionsbescheinigung besteht grundsätzlich Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder XII. Es gilt insofern nichts anderes als für ukrainische Staatsangehörige.
Für die Prüfung ist die jeweilige Ausländerbehörde und nicht das BAMF zuständig. Allerdings muss das BAMF unter Umständen beteiligt werden (in Anlehnung an § 72 Abs. 2 AufenthG). Allerdings ist zu beachten, dass nach Auffassung des BMI ausnahmsweise „die betreffende Person dem Asylverfahren zuzuführen“ ist (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 9; https://t1p.de/g8fun), wenn die geäußerten Belange zur Unmöglichkeit einer Rückkehr materiell einem Asylbegehren im Sinne des § 13 AsylG entsprechen. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Furcht vor politischer Verfolgung, vor Todesstrafe, Folter, unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung oder vor Bürgerkrieg geäußert wird. In diesem Fall ist das BAMF zuständig und es gelten die Regelungen des Asylverfahrens (mit Wohnpflicht in einer Aufnahmeeinrichtung, Aufenthaltsgestattung, Wartezeiten für den Arbeitsmarktzugang usw.).
Das BMI weist aber ausdrücklich darauf hin, dass dennoch zunächst von der Ausländerbehörde der vorübergehende Schutz nach § 24 AufenthG geprüft werden muss: "Ein Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG ist also von der Ausländerbehörde stets einzuleiten. Eine vor der Einleitung des Verfahrens stattfindende Umdeutung eines gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG in einen Asylantrag durch die Ausländerbehörde ist unzulässig. Ein Asylantrag kann nur durch den Ausländer persönlich beim BAMF gestellt werden." (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 8; https://t1p.de/g8fun)
Eine sehr hilfreiche Arbeitshilfe zum Anspruch auf vorübergehenden Schutz für nicht-ukrainische Staatsangehörige gibt es vom Flüchtlingsbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein: https://t1p.de/78vc.
Der vorübergehende Schutz entsteht - jedenfalls für die vom Durchführungtsbeschluss der EU ausdrücklich erfassten Personengruppen - aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben gleichsam automatisch, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Aus diesem materiellen Anspruch auf den vorübergehenden Schutz ergibt sich ebenfalls automatisch der rechtmäßige Aufenthalt. Die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 AufenthG selbst hat demgegenüber nur „deklaratorische Bedeutung“ – so ähnlich wie die frühere Freizügigkeitsbescheinigung für Unionsbürger*innen. Das führt dazu, dass die Rechte, die sich aus dem vorübergehenden Schutz ergeben (z.B. auf Sozialleistungen und Zugang zur Erwerbstätigkeit) bereits vor der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gewährt werden müssen.
Bereits vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG besteht ab der Vorsprache beim Sozialamt ein Anspruch (zumindest) auf Leistungen nach dem AsylbLG. Denn bereits das Nachsuchen um Unterkunft und Versorgung beim Sozialamt ist als „Schutzgesuch“ zu werten. Damit entsteht die Leistungsberechtigung, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1a AsylbLG bei einem „Asylgesuch“ eintritt. Die rechtliche Konstruktion, dass der Antrag auf Leistungen als „Schutzgesuch“ zu werten sei, ist allerdings ausdrücklich nicht mit einem Asylantrag gleichzusetzen – dies betont auch das BMI selbst mit seinem Hinweis, dass mit dem „Schutzgesuch“ kein Asylverfahren „eröffnet und durchgeführt“ werde (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 13 und 24; https://t1p.de/g8fun).
Der Anspruch auf Leistungen beginnt, wenn eine hilfebedürftige Person sich „tatsächlich“ im Bundesgebiet aufhält und das Sozialamt gemäß § 6b AsylbLG „Kenntnis“ von ihrer Bedürftigkeit hat. Eine vorherige Registrierung, ID-Behandlung oder Meldung bei der Ausländerbehörde sind demnach keine gesetzliche Voraussetzung für den Beginn der Leistungen.
Es gibt auch die Rechtsauffassung, dass bereits vor der Erteilung der Fiktionsbescheinigung ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII besteht, weil durch den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis der rechtmäßige Aufenthalt fortbesteht und damit die Voraussetzungen nach AsylbLG nicht gegeben seien (LSG Hessen, Beschluss vom 29. Juli 2022, L 4 SO 124/22 B ER, https://t1p.de/qjjel).
In der Praxis sollten daher beide Leistungen beim Sozialamt beantragt werden, so dass die Behörde klären muss, welches die richtigen Leistungen sind. Es muss jedoch klar sein, dass eine der beiden Leistungen auf jeden Fall erbracht werden muss und eine Verweigerung beider Leistungen (wie sie auch schon vorgekommen ist) natürlich rechtswidrig ist, wogegen man beim Sozialgericht Eilrechtsschutz beantragen sollte.
Wenn eine Fiktionsbescheinigung nach Antrag auf § 24 AufenthG ausgestellt worden ist oder die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG bereits vorliegt, besteht in aller Regel ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II / XII sowie auf Kindergeld (siehe https://t1p.de/85ppt).
Schon während des Antragsverfahrens mit Fiktionsbeschebinigung auf § 24 AufenthG soll die Erwerbstätigkeit erlaubt werden (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 17; https://t1p.de/g8fun).), und auch die Möglichkeit zur Zulassung zum Integrationskurs besteht bereits (siehe FAQ des BAMF: https://t1p.de/p3ybs). Nach Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist jede Erwerbstätigkeit per Gesetz erlaubt und es besteht ein gesetzlich geregelter Zugang zum Integrationskurs (§ 44 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 AufenthG).
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG wird nach den Vorgaben des BMI immer bis zum 4. März 2024 erteilt. Nach diesem Datum wird sie um ein weiteres Jahr verlängert, wenn der Rat der EU bis dahin einen Beschluss zur Verlängerung des vorübergehenden Schutzes treffen sollte.
Die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG muss immer ohne die Voraussetzung eines gesicherten Lebensunterhalts und ohne auch ohne Erfüllung der Passpflicht erteilt werden (§ 5 Abs. 3 AufenthG).
Eine ausführliche Darstellung der einzelnen Leistungsansprüche finden Sie hier: https://t1p.de/bh20v.
Die Ablehnung des Antrags auf Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG führt dazu, dass der Aufenthalt nicht mehr rechtmäßig ist und man ausreisepflichtig wird. Der Aufenthalt gilt als geduldet, eine Abschiebung ist rechtlich möglich. Gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis kann Klage beim Verwaltunsgericht eingelegt werden, die allerdings keine aufschiebende Wirkung hat (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Daher muss zusätzlich beim Verwaltungsgericht ein Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO eingelegt werden, um eine Abschiebung während des Klageverfahrens zu verhindern. Die Ausländerbehörde muss eine Duldung ausstellen.
Nach Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis besteht aufgrund der Ausreisepflicht kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII, sondern nach dem AsylbLG (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 bzw.Nr. 5 AsylbLG).
Eine Erwerbstätigkeit ist nach Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis nicht ohne weiteres zulässig. Es kann aber nach dreimonatigem Aufenthalt die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit gem. § 4a Abs. 4 AufenthG und § 32 BeschV beantragt werden (mit Zustimmung der BA, aber ohne Vorrangprüfung).
In Einzelfällen kann für nicht-ukrainische Staatsangehörige auch nach Ablehnung des § 24 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis aus anderen Gründen in Frage kommen – etwa als Fachkraft mit in Deutschland anerkanntem Abschluss (§ 18a und 18b AufenthG), für die Ausbildung (§ 16a), für das Studium (§ 16b), für das berufliche Anerkennungsverfahren (§ 16d), für den Sprachkurs (§ 16f), für einen Freiwilligendienst oder Au-Pair (§ 19c Abs. 1).
Hierfür müssen jedoch in der Regel die üblichen Voraussetzungen für den jeweiligen Aufenthaltstitel erfüllt werden (u. a. Sicherung des Lebensunterhalts). Der frühere Antrag auf vorübergehenden Schutz sperrt nicht die Erteilung anderer Aufenthaltserlaubnisse.
Es ist dringend zu empfehlen, noch vor der Ablehnung des Antrags auf § 24 einen anderen Aufenthaltserlaubnis zu beantragen, falls hierfür perspektivisch die Voaraussetzungen erfüllt sein könnten. Denn es ist immer einfacher, aus einem rechtmäßigen Aufenthalt heraus eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, als wenn bereits Ausreisepflicht eingetreten ist.
Unter anderem in Niedersachsen und NRW gibt es ausführliche Erlasse für drittstaatsangehörige Studierende aus der Ukraine, die den vorübergehenden Schutz nicht erhalten: In Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 24 AufenthG "offensichtlich" nicht vorliegen, soll der ursprünglich Antrag auf § 24 nicht einfach abgelehnt werden, sondern als "konkludenter" Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16a bzw. b AufenthG (für Ausbildung oder Studium) umgedeutet werden. In der Folge wird dann statt einer Ablehnung weiterhin eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt, die ein Jahr Gültigkeit (ab Antragstellung) haben soll, um die Voraussetzungen für den Ausbildungs- oder Studienaufenthalt zu erfüllen.
Wenn die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erwartbar abgelehnt werden sollte oder wenn der Antrag gar nicht erst gestellt wurde, sollten Drittstaatsangehörige die 90 Tage des rechtmäßigen Aufenthalts nutzen, um die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltstitel zu erfüllen. Während des visumfreien Aufenthalts müssen Aufenthaltstitel auch für andere Zwecke erteilt werden, ohne dass dafür ein Visum beantragt werden müsste (§ 3 Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung), aber auch danach ist von der Nachholung eines Visumverfahrens für Drittstaatsangehörige abzusehen (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 9; https://t1p.de/g8fun). Dasselbe gilt, wenn noch während des Prüfverfahrens für den § 24 AufenthG die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltstitel erfüllt werden und ein Antrag auf den anderen Titel gestellt wird.
Unter anderem in Niedersachsen und NRW gibt es ausführliche Erlasse für drittstaatsangehörige Studierende aus der Ukraine, die den vorübergehenden Schutz nicht erhalten (werden): In Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 24 AufenthG "offensichtlich" nicht vorliegen, soll der ursprünglich Antrag auf § 24 nicht einfach abgelehnt werden, sondern als "konkludenter" Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16a bzw. b AufenthG (für Ausbildung oder Studium) umgedeutet werden. In der Folge wird dann statt einer Ablehnung weiterhin eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt, die ein Jahr Gültigkeit (ab Antragstellung) haben soll, um die Voraussetzungen für den Ausbildungs- oder Studienaufenthalt zu erfüllen.
Fraglich ist, ob § 19f Abs. 1 Nr. 2 oder § 19f Abs. 2 Nr. 1 AufenthG in bestimmten Fällen den Wechsel in eine andere Aufenthaltserlaubnis sperren könnten. Hierzu gibt es noch einige Unklarheit. Unserer Ansicht nach stellt sich die Rechtslage folgendermaßen dar:
Die Hürden für die anderen Aufenthaltstitel sind jedoch hoch: Neben den jeweiligen spezifischen Voraussetzungen müssen dafür in der Regel der Lebensunterhalt gesichert und die Passpflicht erfüllt sein. Ausnahmen sind in atypischen Fällen möglich, werden aber erfahrungsgemäß selten gemacht. Informationen zu den erforderlichen Einkommen und zur Sicherung des Lebensunterhalts gibt es hier: https://t1p.de/2819.
In besonderen Einzelfällen können Aufenthaltserlaubnisse zur Familienzusammenführung oder aus humanitären Gründen infrage kommen. Daneben sind vor allem eine Reihe verschiedener Aufenthaltstitel zum Zwecke der Ausbildung, des Studiums oder der Erwerbstätigkeit zu nennen.
Falls bereits ein Berufsabschluss vorliegen sollte, empfiehlt es sich dringend, sich frühzeitig zu den Möglichkeiten der Anerkennung dieses Abschlusses zu informieren. Hierzu können die Beratungsstellen des IQ Netzwerks Informationen geben: https://www.netzwerk-iq.de/.
Im Folgenden werden diese Aufenthaltstitel mit den jeweils wichtigsten Voraussetzungen dargestellt:
Aufenthaltserlaubnis für die schulische oder betriebliche Berufsausbildung, Voraussetzungen:
Weitere Informationen gibt es auf der Seite „Make it in Germany“: https://t1p.de/8hkqy.
Aufenthaltserlaubnis für das Studium oder für studienvorbereitende Maßnahmen, Voraussetzungen:
Ausführliche Informationen gibt es in der Handreichung: „Aufenthalts- und Sozialrecht für internationale Studierende“ von Dorothee Frings: https://t1p.de/vmt2j
Aufenthaltserlaubnis für die Durchführung notwendiger Qualifizierungsmaßnahmen, die für die Feststellung der Gleichwertigkeit oder die Erteilung der Berufsausübungserlaubnis erforderlich sind; Voraussetzungen:
Voraussetzungen:
Voraussetzungen:
Für die Teilnahme an einem gesetzlich geregelten Freiwilligendienst (z. B. Bundesfreiwilligendienst, Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr) kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG erteilt werden, Voraussetzungen:
Auch für ein Au-Pair kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG für max. zwölf Monate erteilt werden, Voraussetzungen:
Informationen zu den Voraussetzungen für einen Aufenthalt als Au Pair gibt es von der Bundesagentur für Arbeit: https://t1p.de/o4dkj. Ein Muster für einen Au-Pair-Vertrag gibt es ebenfalls auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit: https://t1p.de/xzfg.
Aus einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG ist gemäß § 39 S. 1 Nr. 1 AufenthV grundsätzlich, auch ohne zwischenzeitliche Ausreise und Nachholung eines Visumverfahrens, der Wechsel in jede andere Aufenthaltserlaubnis möglich. Möglich ist auch die zusätzliche bzw. parallele Erteilung einer zweiten Aufentahlsterlaubnis. Dies kann etwa von Bedeutung sein, wenn der vorübergehende Schutz nicht verlängert wird, oder auch vorzeitig, wenn die Voraussetzungen für eine „bessere“ Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind (etwa für einen Aufenthalt als Fachkraft gemäß § 18a oder § 18b Abs. 1 oder aus familiären Gründen gemäß § 30ff AufenthG).
Allerdings sieht § 19f Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vom Wortlaut her Sperren für bestimmte Aufenthaltstitel vor, wenn sich Personen „im Rahmen einer Regelung zum vorübergehenden Schutz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufhalten“. Es handelt sich bei den „gesperrten“ Aufenthaltstiteln um die §§ 16b Abs. 1 und 5 (Studium), 16e (studienbezogenes Praktikum), 17 Abs. 2 (Studienbewerbung), 18b Abs. 2 (Blaue Karte-EU), 18d (Forschung und 19e (Europäischer Freiwilligendienst).
Der Wechsel auch in diese Aufenthaltstitel ist jedenfalls dann unstrittig möglich, wenn der vorübergehende Schutz ausläuft und nicht verlängert wird, oder wenn ausdrücklich der Verzicht auf den vorübergehenden Schutz erklärt wird. Der Vorteil der genannten Aufenthaltstitel gegenüber dem vorübergehenden Schutz kann im Einzelfall darin bestehen, dass bessere Möglichkeiten für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts und erweiterte Sozialleistungsansprüche bestehen können. Jedoch wird für die genannten Aufenthaltserlaubnisse im Gegensatz zum vorübergehenden Schutz die Sicherung des Lebensunterhalts vorausgesetzt.
Das BMI hat klargestellt, dass die Äußerung eine Schutzbegehrens für den vorübergehenden Schutz allein nicht zur Durchführung eines Asylverfahrens führt (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 24; https://t1p.de/g8fun). Hierfür ist ein förmlicher Asylantrag bei der zuständigen Außenstelle des BAMF erforderlich. Auch das Nachsuchen um Unterkunft, Verpflegung oder medizinische Versorgung beim Sozialamt führt somit nicht zu einem Asylverfahren. Die Ausländerbehörde darf zudem die Entgegennahme eines Antrags auf § 24 nicht m,it dem Hinweis verweigern, man solle lieber einen Asylantrag stellen.
Für den begünstigten Personenkreis des § 24 AufenthG ist zwar grundsätzlich jederzeit die Möglichkeit zur Asylantragstellung eröffnet. Auch die Beschränkung des § 13 Abs. 3 AsylG, nach der ein Asylantrag „unverzüglich“ gestellt werden muss, gilt in diesen Fällen nicht, da die Personen nicht unerlaubt eingereist sind. Mit Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG ruht jedoch nach § 32a Abs. 1 AsylG das Asylverfahren, eine weitere Prüfung des Asylantrags findet dann nicht statt. Damit gelten die Regelungen des AufenthG und nicht mehr des AsylG (z. B. bezogen auf Arbeitsmarktzugang, Wohnverpflichtung usw.). Wenn das Asylverfahren dennoch betrieben werden soll, muss dies laut BMI dem BAMF ausdrücklich „mitgeteilt“ werden (BMI, Schreiben vom 5. September 2022, S. 24; https://t1p.de/g8fun). Entgegen früherer Äußerungen des BMI darf hierfür wohl nicht mehr der Verzicht auf den vorübergehenden Schutz als Bedingung verlangt werden; die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG und das Asylverfahren dürften dann parallel laufen.
Gemäß § 32a Abs. 2 AsylG gilt ein ruhender Asylantrag als zurückgenommen, wenn Betroffene nicht innerhalb von einem Monat nach Ablauf des Titels nach § 24 AufenthG dem Bundesamt anzeigen, dass sie ihr Asylverfahren fortführen möchten (gesetzliche Rücknahmefiktion). Es ist fraglich ob diese Regelung mit EU-Recht vereinbar ist, da in Art 28 Abs. 1 Bst. a und b Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) in der Regel nur bei fehlender Mitwirkung oder Untertauchen von einer stillschweigenden Rücknahme oder dem Nichtbetreiben des Verfahrens ausgegangen werden kann.
Ein Asylantrag statt bzw. zusätzlich zu einem Antrag auf Zuerkennung des vorübergehenden Schutzes kann beispielsweise in den nachfolgend genannten Fällen sinnvoll sein:
Hierbei ist jedoch zu beachten, dass ein Asylverfahren negative Auswirkungen haben kann (Verpflichtung zum Leben in Erstaufnahmeeinrichtungen, lange Sperrfristen für die Arbeitserlaubnis, Sperrwirkungen des § 10 Abs. 1 und 3 AufenthG für die spätere Erteilung von Aufenthaltstiteln, unter Umständen kein Zugang zum Integrationskurs usw.). Eine individuelle Beratung durch spezialisierte Beratungsstellen und/oder durch fachkundige Anwält*innen ist daher von großer Bedeutung.