SG Potsdam

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Zitieren als:
SG Potsdam, Beschluss vom 20.12.2017 - S 6 AL 237/17 ER (Asylmagazin 3/2018, S. 103 f.) - asyl.net: M25962
https://www.asyl.net/rsdb/M25962
Leitsatz:

Gewährung vorläufiger Berufsausbildungsbeihilfe im Eilverfahren:

1. Einem asylsuchenden Auszubildenden aus Kamerun ist vorläufig Berufsausbildungsbeihilfe zu gewähren, weil eine Entscheidung darüber, ob ein gesicherter Aufenthalt zu erwarten ist, allein aufgrund des Herkunftslandes bedenklich ist. Ob ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt i.S.d. § 132 Abs. 1 SGB III zu erwarten ist, kann nicht allein aufgrund der Festlegung des BAMF zur Bleibeperspektive entschieden werden, sondern ist im Einzelfall zu klären (im Anschluss an VG Potsdam, Az. S 32 AL 232/17 ER).

2. Ein erneuter Eilrechtsschutzantrag ist nach dem ersten Verfahren wegen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zulässig. Die Rechtsprechungsänderung ergibt sich aus dem Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.11.2017 - L 18 AL 182/17 B ER ZVW - asyl.net: M25672, wonach die Folgenabwägung im Eilrechtsschutz zugunsten des Betroffenen ausfallen muss, da die Rechtsfrage, wann ein gesicherter Aufenthalt zu erwarten ist, ungeklärt ist (unter Bezug auf BVerfG, Beschluss vom 28.9.2017 - 1 BvR 1510/17 - M25979).

(Leitsätze der Redaktion; erneute Entscheidung wegen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung; wird aufrecht erhalten durch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.01.2018 - L 14 AL 5/17 B ER - asyl.net: M25961; ursprüngliche Entscheidungen: SG Potsdam, Beschluss vom 29.03.2017 - S 6 AL 13/17 ER - asyl.net: M24882 und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.05.2017 - L 14 AL 52/17 B ER - asly.net: M25176, Asylmagazin 7-8/2017; siehe asyl.net Meldung vom 20.2.2018)

Schlagwörter: Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsförderung, Asylsuchende, Asylverfahren, Bleibeperspektive, Berufsausbildung, einstweilige Anordnung, Kamerun, Anerkennungsquote, Schutzquote, Prozesskostenhilfe, Aufenthaltsgestattung, schwierige Rechtsfrage, dauerhafter Aufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, Gesamtschutzquote, Ausbildungsbeihilfe
Normen: SGB III § 132 Abs. 1 S. 1, SGB III § 56, SGB III § 132 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 18a Abs. 1a, SGG § 86b Abs. 2 S. 2, SGB III § 56, SGB III § 59, SGB III § 132, BAFöG § 8, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3, AufenthG § 44 Abs. 4 S. 2 Nr. 1, AufenthG § 44 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat für die Zeit ab dem 22.11.2017 einen Anordnungsgrund.

Nachdem das Sozialamt der Stadt … Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mit Wirkung vom 01.12.2016 aufgehoben hatte, besteht die Gefahr, dass der Antragsteller ohne die vorläufige Gewährung der Berufsausbildungsbeihilfe seine Ausbildung abbrechen müsste, da er allein von seiner Ausbildungsvergütung seinen Lebensunterhalt und die Kosten der Unterkunft sowie die Fahrkosten nicht bestreiten kann.

Das Gericht folgt vollumfänglich der Entscheidung der 32. Kammer des Sozialgerichts Potsdam zum Aktenzeichen S 32 AL 232/17 ER. Zutreffend hat die Kammer darauf verwiesen, dass entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin im Hinblick auf die vorliegend fachgerichtlich nicht abschließend geklärte Rechtslage zu § 132 SGB III in der seit 6.8.2016 geltenden Fassung ein Anspruch des Antragstellers auf Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe nicht ausgeschlossen ist und hat u.a. ausgeführt:

"Nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III gehören Ausländer, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, zum förderfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III für Leistungen nach den §§ 56 und 122 SGB III, wenn der Aufenthalt seit mindestens 15 Monaten gestattet ist. Durch Artikel 1 des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016 wurden in § 132 SGB III befristete Sonderregelungen zur Anwendung des förderfähigen Personenkreises nach § 59 SGB III für die Ausbildungsförderung von Ausländerinnen und Ausländern normiert. Dass die Voraussetzungen für die befristete Sonderregelung zur Ausweitung des förderfähigen Personenkreises nach § 59 SGB III für den Antragsteller vorliegend gegeben sind, kann nicht offensichtlich ausgeschlossen werden.

Soweit die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller habe nach den Festlegungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aufgrund seines Herkunftslandes Kamerun keine gute Bleibeperspektive, kann daraus nach Auffassung der Kammer nicht geschlossen werden, dass für den Antragsteller kein mit erforderlicher Sicherheit rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt im Sinne von § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III zu erwarten ist. Die Kammer hält es für bedenklich, dass allein eine halbjährige Festlegung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dafür herangezogen wird, welche Menschen aus welchen Herkunftsländern eine gute Bleibeperspektive haben, ohne dass eine individuelle Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers getroffen wurde, noch sozialgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der in § 132 Abs. 1 SGB III normierten Vermutungsregelung - ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt.zu erwarten ist - vorliegt. Die Kammer schließt sich daher der Rechtsprechung des LSG vom 16.11.2017 zu dem Aktenzeichen L 18 AL 182/17 BER ZVW an.

Angesichts des Umstandes, dass die Rechtslage zu § 132 SGB III nicht abschließend geklärt ist, ist ein Anspruch des Antragstellers in dem hier vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach summarischer Prüfung nicht offensichtlich ausgeschlossen. Aufgrund der vorzunehmenden verfassungsrechtlich gebotenen Folgenabwägung steht dem Antragsteller deshalb der Anordnungsanspruch zu. Dem Antragsteller ist vorläufig BAB zu gewähren, da die Nachteile, die ihm bei Ablehnung des Antrages bei angenommener begründeter Klage in der Hauptsache entstünden, schwerwiegender sind als die die Antragsgegnerin treffenden Nachteile bei Stattgabe des Antrags und angenommener Unbegründetheit der Hauptsache." (vgl. Beschluss Sozialgericht Potsdam, S 32 AL 232/17 ER) [...]