Rechtswidrige Sicherungshaft wegen fehlenden Nachweises über die Zustellung des Ablehnungsbescheides des BAMF und mangelnder Nachforschung durch das Haftgericht:
1. Der fehlende Nachweis über die wirksame Zustellung des Ablehnungsbescheides des BAMF über den Asylantrag steht dem Erlass einer Haftordnung entgegen, da in diesem Falle das Aufenthaltsrecht fortbesteht und keine Ausreisepflicht vorliegt (unter Bezug auf OLG Stuttgart, Urteil vom 20.07.2005 - 4 U 71/05 - asyl.net: M7060).
2. Das Haftgericht hätte eigenständig Nachforschungen anstellen müssen, ob die Ausreisepflicht tatsächlich vorliegt; versäumt es dies, ist die Haftanordnung rechtswidrig, selbst wenn die materiellen Voraussetzungen bei hypothetischer Prüfung vorlägen (unter Bezug auf: BVerfG, Beschluss vom 09.02.2012 - 2 BvR 1064/10 - asyl.net: M19446; Beschluss vom 18.12.2008 - 2 BvR 1438/07 - asyl.net: M14787).
3. Der Haftantrag muss konkrete Ausführungen zur beantragten Haftdauer beinhalten. Enthält der Antrag der Ausländerbehörde keine solchen Ausführungen, obliegt es dem Haftgericht, gem. § 26 FamFG nachzufragen.
(Leitsätze der Redaktion)
[…]
Die Anordnung der Sicherungshaft war rechtswidrig. Sie leidet an erheblichen Verfahrensverstößen, weshalb die Freiheitsentziehung nicht auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Weg erfolgt ist.
1. Einer Haftanordnung stand bereits der fehlende Nachweis einer wirksamen Zustellung des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28.01.2016 an den Betroffenen entgegen.
Bei der Frage der ordnungsgemäßen Zustellung der Ablehnung eines Asylantrages geht es nicht nur um eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Abschiebungsverfahrens, sondern um die materiellen Voraussetzungen für eine Haftanordnung. Das wegen einer fehlerhaften Zustellung weiterhin bestehende Aufenthaltsrecht des Betroffenen stand mithin einer Haftanordnung entgegen (vgl. etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 20. Juli 2005 - 4 U 71/05 -, Rn. 29, juris Rn. 29; OLG Karlsruhe, NVwZ 1993, 811 [812]; BayObLG, NVwZ 1993, 102).
Es ergibt sich vorliegend weder aus dem vorgelegten Bescheid selbst noch aus anderen der Ausländerakte zu entnehmenden Unterlagen, ob und in welcher Form eine Bekanntgabe an den Beschwerdeführer erfolgt ist. […]
Daher hätte Anlass zur Klärung der Frage der Ausreisepflicht bestanden. Nachforschungen hierzu hat das Amtsgericht jedoch nicht vorgenommen. Es geht aus dem Beschluss vom 28.09.2017 hervor, dass allein aufgrund der Angaben im gestellten Haftantrag von einer Ausreisepflicht ausgegangen wurde. Das Amtsgericht ist damit nicht seiner verfassungsmäßigen Verpflichtung nachgekommen, eigenverantwortlich zu prüfen, ob eine Ausreisepflicht des Beschwerdeführers bestand (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 09. Februar 2012 - 2 BvR 1064/10 -, juris Rn. 26).
Eine Prüfung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich um eine eilbedürftige Entscheidung handelte. […]
Bereits das Unterlassen von Nachforschungen trotz ersichtlich unzureichender Entscheidungsgrundlage stellt einen Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen des Freiheitsgrundrechts dar. Dieser Verstoß gegen Verfahrens- oder Formvorschriften wäre selbst dann nicht unbeachtlich und würde zur Rechtswidrigkeit der Anordnung der Sicherungshaft führen, wenn die materiellen Haftvoraussetzungen erfüllt wären. Eine solche hypothetische Betrachtungsweise widerspräche dem Gesetzesvorbehalt des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Dezember 2008 - 2 BvR 1438/07 -, juris Rn. 13).
2. Im Übrigen hätte die Sicherungshaft nicht angeordnet werden dürfen, weil es dem Haftantrag an notwendigen Ausführungen zur Anordnung der Dauer der Sicherungshaft fehlt. […]
Erforderlich sind konkrete Feststellungen zu dem Verfahrensablauf und zu dem Zeitraum, in dem die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden. Der Tatrichter darf sich dabei nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken. Soweit diese keine konkreten Tatsachen hierzu mitteilt, obliegt es ihm gemäß § 26 FamFG nachzufragen (BGH, Senatsbeschlüsse vom 09.06.2011 - V ZB 230/10, juris Rn. 6 und vom 27.10.2011 - V ZB 311/10, juris Rn. 6). Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Amtsgerichts ebenfalls nicht. […]